Arthur Schnitzler: Briefwechsel mit Autorinnen und Autoren1907-04-20Felix Salten an Arthur Schnitzler, 20. 4. 1907Salten, FelixMüller, Martin AntonUntner, LauraÖsterreichischer Wissenschaftsfonds FWFGeorg-Coch-Platz 21010 WienAWienschnitzler-briefeTranskription und KommentierungMüller, Martin AntonUntner, LauraAustrian Centre for Digital Humanities Vienna2023
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https://hdl.handle.net/21.11115/0000-0012-D16D-6
Machine-Readable Transcriptions of the Correspondences of Arthur Schnitzler
GBCambridgeUniversity LibrarySchnitzler, B 89, B 1
Unterschrift
Zeitungsausschnitt, 1 Blatt, 2 Seitenmaschineller Durchschlag einer Abschrift eines Briefes von Moritz
Heimann, 1 Blatt, 1 Seitemaschineller Durchschlag eines Briefes von Salten an Moritz Heimann, 8 Blatt, 8 Seiten, paginiert:
»2«–»8«, teilweise minimale
Korrekturen mit schwarzer Tinte, die in der Wiedergabe übernommen sindvon unbekannter Hand nummeriert: »228«GermanSalten, Felix20. 4. 1907WienSchnitzler, Arthur[20. 4. 1907
– 24. 4. 1907?]WienSalten, FelixSchnitzler an Salten, 18. 4. 1907Bahr an Schnitzler, 26. 4. 1907Schnitzler an Salten, 18. 4. 1907Salten an Schnitzler, 29. 5. 1907Export aus TranskribusBibliographische Angabe Kerr nachgetragenDurchsichtIndex checkDurchsicht
Wien-Heiligenstadt, 20. April 1907Lieber,
beigeschlossen sende ich Ihnen den Fall Heimann.
, zu dem sich eine weitere Bemerkung ja erübrigt. Mit Lautenburg werde ich wegen des Herrn Rothenstern sprechen. Hoffentlich sehen wir uns baldNachweisbar sahen sie sich am wieder..
Herzlichst Ihr Salten
Feuilleton.Felix Salten: Der Fall Hauptmann. In: Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1576, 12. 2. 1907, Morgenblatt, S. 1–2.
Der Fall Hauptmann.
Im Lessing-Theater ist das
neue Stück von Gerhart Hauptmann durchgefallen. Aber nichtso einfach durchgefallen, wiesonst wohl andere Stücke, die eben keine Gnade und
keinen Applaus finden. Sie haben es ausgelacht, verhöhnt, bebrüllt und bejohlt;
haben das Gewebe der Handlung, während es noch vor ihnen abrollte, mit ihren
Wutausbrüchen in Fetzen gerissen, haben mit ihrem Spott bei offener Bühne die
Worte, diesich hervorwagten, abgefangen,sie verdreht und ihnen das Antlitz
entstellt odersie mit ihrem Schimpf kurzweg niedergeschlagen. Man fragtsich, wie
das geschehen konnte. Die tausendköpfige Bestie hat den Dichter, als er (»Vor Sonnenaufgang«), ein neuer Mann, vorsie
hintrat, giftig angefaucht. Vor vielen Jahren. Seither hielt ersie gebändigt und
gezähmt, an manchem Abend. Undsie fraß ausseiner Hand. Nun konntesie diesmalseinem Zwang entspringen,seine Fesselnso völlig abwerfen und ihm die Zähne
fletschen wie einst? Ist ihm da unversehens ein Malheur passiert? Oder Philister über dir, Gerhart Hauptmann! ist die Kraft von ihm
gewichen?
Jetzt liegt auch die Buchausgabe der »Jungfern vom Bischofsberg« vor. Und liest man dies neue
Werk von Gerhart Hauptmann, ruhig,
unbeirrt, überlegsam und mit allem guten Willen, dann zeigt essich, daß dem Berliner Premierenvolk kein Meisterwerk zum
Opfer fiel. Kultiviertere, an alten, erlauchten Traditionen erzogene
Theaterbesucher hätten wahrscheinlich gefühlt, daßsie dem Dichter der »Weber«, des »Hannele« und noch zwölf anderer großer Kunstwerke Respektschulden, und
hätten nicht zum Hausschlüssel gegriffen. Aber alle hätten dieses Stück fallen lassen. Nach genauer,
wohlwollender, pietätvoller Prüfung dieses Lustspiels muß man ein Urteil
bestätigen, das gewiß allzuschreiend, allzu unhöflich im Ton, allzu hitzig und
turbulent abgegeben wurde. Das aber gerecht ist. Leider Gottes. Leer und banal inseiner Handlung ist dieses Stück. Gequält und mühsam inseinen Gestalten. Armselig
und atemlos inseinem Dialog. Albern, leider Gottes, albern, wo esspaßhaftsein
will. Und ohnmächtig, wo es nach Humor ringt. Irgendein ganz matter, ganz leiser
Schimmer von persönlich nahe erlebten Dingen, von persönlich nahe geschauten
Menschen haftet manchmal an diesen Figuren. Wer dem Kreis, aus dem dies Stück
geholt wurde, angehört, wer tiefer hineingeschaut hat, dem mag dieser Schimmer
heller, vertrauter, aufklärender glänzen. Der mag vielleicht auch erraten, was
hier die dichterische Absicht gewesen. Herausgekommen,sichtbar und deutlich
geworden istsie nicht. Leider Gottes.
*
Undso erkennt man: die »Jungfern vom Bischofsberg«, das ist keineswegs nur ein mißlungenes Werk:
das ist eine Krisis. (Hoffentlich keine Katastrophe.) Mißlingen kann jedem
Künstler einmal ein Werk. Was liegt daran? Der Größte verfehlt manchmal den Kern
eines Stoffes, erwischt ihn nicht, verrenntsich undscheitert mit irgendeinem
besonderen Wollen. Aber er darf nicht unterseinem Niveauscheitern. Gerhart Hauptmann ist hier auf einmal weit
hintersichselbst zurück, tief unterseinem Rang. Wirsahen ihn noch nie insolcher Niederung. Beispielmäßig: es gibt einige sehrschwächliche Stücke von Georg Hirschfeld, diesich ausnehmen wie einschwacher Abklatsch von Gerhart Hauptmann.
Dieses Lustspiel von Hauptmann aber nimmtsich aus wie einschwacher Abklatsch von Georg Hirschfeld.
Das eben istso verwirrend. Er erscheint hier als der Epigoneseiner eigenen
Epigonen. Man hat den Eindruck: jemand, der vom Sessel gefallen ist.
*
Man hat den Eindruck: ein Absturz. Die treuesten kritischen
Anhänger verlassen Hauptmann jetzt wie die
vielberufenen Ratten dassinkende Schiff. Seine begeisterten Schild- und
Schwertträger. Undseine alten Gegner lächeln triumphierend. Jeder von ihnen fühltsich als ein Prophet: »Ich hab’ es ja immer gesagt.« (Was natürlich ekelhaft ist.)
Jetztstellensich die Anklagen ein, die Vorwürfe und Ratschläge. Auch möchte man
Erklärungen finden für diesen merkwürdigen Fall. Ein müder Mann, heißt es, der
ausruhensollte. Sein Geistsoll brachliegen eine Weile, wie ein Acker, der
allzuoft nacheinander hat Ernten tragen müssen. Natürlich, rufen andere, es war zu
viel; jedes Jahr ein Stück. Das geht überseine Kraft. Dann wird der Direktor Brahm hineinverwickelt. Hat denn der nicht
gesehen, wieschlecht das neue Werk ist? Wär’s nichtseine Pflicht gewesen, den Freund zu warnen, ihm, wenn’s nicht
anders ging, die Bühne zu
verschließen? Zuletzt gegen Hauptmann die
Beschuldigung menschlicher und künstlerischer Leichtfertigkeit.
*
Ich möchte, in Parentheseim Druck steht
»Paranthese«, ein Wort für Brahm einlegen. Denn ich glaube, daß ihm doch ein wenig
Unrecht geschieht. Auch dann Unrecht, wenn er, wiesich’s vonseinem Urteil
erwarten läßt, die »Jungern vom Bischofsberg«
von Anfang an fürschlecht gehalten hat. Durfte er denn wirklich einem Stück von
Gerhart Hauptmannsein TheaterDie
Argumentation über das Scheitern der Jungfern vom
Bischofsberg hat an dieser Stelle einige Ähnlichkeit mit der Debatte
über das Stück Der Schleier der Beatrice von Schnitzler, das Paul Schlenther im Frühjahr 1900 für das
Burgtheater abgelehnt hat. In dem von Salten maßgeblich betriebenen öffentlichen
Protest der Theaterkritiker heißt es: »Wir stellen die Qualitäten dieses
Werkes in dem vorliegenden Falle gänzlich außer Discussion und lassen ebenso
die allenfalls naheliegende Frage unerörtert, ob ein Stück von Arthur Schnitzler nicht auch dann einen gewissen Anspruch darauf hat, der
Oeffentlichkeit und der Kritik im Verlaufe zweier Jahre vorgeführt zu
werden, wenn es (error possibilis) der Meinung des Directors zufolge
zweifelhafte Erfolgaussichten besitzt.« .
verweigern? Dasschlagende Argument des Premierenskandals, mit dem jetzt alleso bequem undso
unwidersprechlich hantieren,stand ihm doch nicht im Angesicht des Manuskripts zu Gebote. Vielleicht
verwarf Hauptmann die Prophezeiung, hätte
vielleicht Ratgeber gefunden, die ein günstigeres Horoskopstellten. War denn die
Gefahr ausgeschlossen, daß Hauptmann, den
freundlicheren Weissagern trauend und dem Schwarzseher, Brahm zürnend, zu Reinhardt ging? Wenn dann das Stück auch bei Reinhardt fiel, blieb noch immer das ärgerliche Räsonnement: Ja, wenn Brahm gewollt hätte im Lessing-Theater, mit Bassermann, wäre nichts Schlimmes passiert.
Ich glaube, Brahm war gar nicht in der
Lage, hier etwas zu verhindern, hätteseinem Hause nur diesen für ihn wichtigsten
Dichter verloren, was nicht zu riskieren war. Ganz abgesehen davon, daß Hauptmann, gestützt aufseine Erfolge, den
Anspruch hat, mit jedem Stück einfach angenommen und gespielt zu werden. Und daß
erschließlich nicht unter Brahms Kuratelsteht.
*
Er ist ganz allein verantwortlich; hat es auch neulichselbst
gesagt, daß er »jederzeit bereit sei, vorsein Werk zu tretenIn Erneuerung einer
Umfrage von Hermann Bahr () fragte
Alfred Holzbock im Tag, ob
Autoren sich bei Aufführungen auf die Bühne stellen sollten. Gerhart Hauptmann wird
zitiert mit: »Ich bin jederzeit bereit, zwar nicht vor das Publikum, wohl aber vor mein Werk zu treten.«
(Der Hervorruf und unsere dramatischen Autoren. In: Neues
Wiener Journal, Jg. 15, Nr. 4470, 1. 1. 1907, S. 15).«. Leichtfertigkeit wird man ihm nicht
vorwerfen dürfen. Wer einmalsein Gesicht gesehen hat, denkt nicht an dergleichen.
Die Bilder, die von ihm verbreitetsind, geben von diesem Gesicht nur wenig. Geben
nur einen falschen Begriff davon. Keines gibt den edlen Glanz, der auf diesem
Antlitz ruht, keines diese leuchtende Unberührtheitseiner Mienen. Kein Bild gibt
diesen Ausdruck von knabenhafter, unendlicher Güte, der umseine feinen Lippen
schwebt. Kein Bild gibt auch die tiefe Heiterkeitseinerstrahlenden blauen Augen.
Ich habe ihn nur hin und wieder einmal, ganz flüchtig, gesehen, aber ich mußsagen: ich glaube an Gerhart Hauptmann, umseinerschönen Augen
willen.
*
Lieber Gott, überhaupt das Persönliche. Es ist, namentlich in
einem Fall wie diesem, das einzig Verläßliche. Irgendein Heuchler, dersich
heimlich einmal den Kopf bebutterte, hat das Tartüffe-Wort erfunden: Die wahre Kunstkritiksoll nie
persönlich werden. Wie jede Lüge, diesich praktisch erweist und vielen Leuten
Vorteil bringt, hat man auch diese zum Grundsatz erhoben, hatsich beeilt, dieses
herrliche Axiom in Sicherheit zu bringen und jeglicher Debatte zu entrücken. In
Wirklichkeit abersollte die wahre Kunstkritik gar nichts anderessein, als
persönlich,so gewiß, als ja auch jede wahre Kunst etwas rein Persönliches ist und
nur in persönlichen Eigenschaften des Charakters, des Gemüts und im persönlichen
Erleben ihre verborgensten Quellen hat. Ist einer tot, dann freilich, dann wirft die Kunstkritikschleunigst diesen
famosen Grundsatz beiseite und wird persönlich. Aber dann ist es meistensschon zuspät. Erstens weil dann die Professoren kommen (was immer ein Malheur ist) und mit
toten Dokumenten arbeiten. Und zweitens, weil dann die lebendigen Zeugen, die aus
unmittelbarer Anschauung psychologisch Schöpfenden nicht mehr dasind. Wie viel
wichtige Zeitgeschichte, wie viel rätsellösendes, unschätzbares Material gehtso
verloren. Wie aufklärend, wenn man von einem Dichtersagen dürfte: er ist ein
enger, habsüchtiger, neidischer Mensch, voll Beschränktheit und kleiner Laster.
Oder von einem anderen: er hat eine rein musikalisch-formale Begabung, aber er istso grenzenlos dumm, deshalb kann er euch nur ein paar Verse, aber nie eine Gestalt
oder ein Weltbild geben. Oder von einem Schauspieler: er ist verlogen,
hinterlistig und voll Tücke, deshalbspielt er die Biedermänner mit der heißen
verschwiegenen Sehnsucht, für einen ehrlichen Kerl zu gelten,so famos. Sein
ganzes Spieltalent entspringt dem Wunsche,seinen Charakter zu verbergen,sich zu
verstellen.
*
Gerhart Hauptmann istsicher durch
persönliche Erlebnisse, durch Wandlungen und Geschehnisse persönlichster Art zu
diesem Stück
herabgeglitten. Und hat’s vielleicht deshalb gerade nicht bemerkt, daß er
herabglitt. Wollte ich in dieser wichtigen Angelegenheit, in der wir diesen
plötzlichen Kräfteverfall unseresstärksten Dramatikers betrachten, wollte ich
diesmal den lügnerischen Grundsatz, an den ich ohnehin nicht glaube, beiseite
lassen, ich könnte nichts Positives anführen, weil ich Hauptmann nicht nahe genugstehe, um Einblick insein
persönliches Walten, inseinen Charakter zu haben. Aber ich bin felsenfest davon
überzeugt, daß es irgendwie mit ihm nicht in Ordnung ist. Nicht mitseinem Wesen,
denn an dieses, an diese adelige Menschlichkeit Hauptmanns glaube ich. Wohl aber mitseinem Schicksal. Ein müder Mann?
Das Gerede vonseiner Müdigkeit halte ich für Unsinn. Wenn man fünfundvierzig
Jahre alt ist,steht man in der Fülle der Kraft. Wo hättesie Gerhart Hauptmann verbraucht? Er hat ohne Amt, ohne
Berufsarbeitseit zwanzig Jahren nurseinem Schaffen gelebt. Auf dem Lande, auf
Reisen. Von überall her Anregung und Erfrischung empfangend. Dafürsindsechzehn
Dramen keine Arbeit, die einen Mann umwirft und ermüdet. Ein Jahr ist lang, und
wenn man nichts anderes tut, kann einem produktiven Menschen in zwölf Monaten doch
ein Stück gedeihen. Fertig? Ach, ich weiß, es gibtso vieleschöne Seelen, die
immer gernschreien: der ist fertig! Am liebsten hättensie, wenn alleschöpferischen Geister »fertig« wären. Hauptmann hatso viele Gleise gelegt. »Die Weber«, »Hannele«, »Florian Geyer« usw., daß man nicht annehmen
kann, ersei fertig. Sicher ist nur, daß er diesmal entgleist ist. Und das
erscheint mir bedenklich genug.
*
Es gibt noch andere Bedenken. Das leere, banale Vorwort, das erseinen gesammelten Werken in diesem Winter
mitgab. Dann das beängstigendschlechte Deutsch, das man inseinen kürzlich
veröffentlichten Romanfragmentennicht ermittelt bemerkte.
Vielleicht muß man trotz allseiner hohen Fähigkeit die Stellung, die er einnimmt,
jetzt revidieren. Er warso lange ein Wahrzeichen, war mehr ein Begriff als eine
Person. Hauptmann. Da mußte man für ihn,
für die Sachesein, dieseinen Namen trug. In hoc signolateinisch: in diesem
Zeichen oder gegen ihn. Parteifahne. Er war der große Sieg,
der Anno 89 von den Modernen erfochten wurde. Die Schlacht bei Hauptmann. Ein historischer Name. Königgrätz, Solferino,
Magentasind ja auch kleine Nester. Und
doch unsterblich. Hauptmann ist nicht
klein. Aber die Schlacht bei Hauptmann ist
am Ende größer gewesen, und wichtiger. Und jetzt tritt er uns auf einmal als erselbst entgegen. Als ein talentvoller Dichter, dem ein Lustspiel jämmerlich
verdarb. Das fromme Wort der unentwegt Andächtigen: »O, Hauptmann, meine Zuversicht! «
wird allerdings für immer zunichte. Nehmt ihn, wie er ist: ein Dramatiker von
Genie. Ein Dichter von Intuition, dem aber der feste Halt eines tiefen
künstlerischen Intellekts manchmal versagt ist. Trifft er’s (vonselbst), dann
ist’s herrlich. Trifft er’s nicht, dann ist es unrettbar. Und da er nirgendwo inseiner Seele und inseinem Geist ehern ist, daseine Selbsterkenntnis nicht kalte
Augen,sein Wille zur Selbstentwicklung nichtstählerne Muskeln hat, brach er uns
endlich unter dem Prunkgewand des Pontifex maximus
zusammen. Seine Romanfragmente,sein Vorwort,sein Lustspielsind Symptome, zeigen einen kindlichen Poeten, dem die
artistische Bewußtheit nicht gegeben ward. Nehmt ihn, wie er ist. Und ihr habt
nicht wenig.
*
Daß er gerade bei einem Lustspiel die Partie verlor, gerade hierso ganz ohne Trümpfe blieb, ist am Ende die wichtigste Seite an der Sache. Das
deutsche Drama istseit dem Kampf, der Anno 89 geführt
wurde, befreit und erlöst. Das deutsche Lustspiel ist nicht vorwärts gekommen.
Seltsam, daß gerade der Mann, auf densich nach der Biberpelz-Komödie alle Hoffnung richtete, inseinem ersten
wirklichen Bemühen ein Lustspiel liefert, bei dem man fast versucht wird, Ludwig Fulda all die Herbheit abzubitten, mit der manseinesüßen Nichtigkeiten abwies. Wirsind im Lustspiel heute noch amselben Platz wie
89, haben Blumenthal, Kadelburg, Schönthan
noch nicht überwunden. Die Schlacht am Bischofsberg ist verloren. Und das moderne deutsche Lustspiel noch nicht
geschrieben.
Felix Salten.
Brief des Herrn Moritz
HeimannSchnitzler kannte
den Brief (zumindest dem Inhalt nach) bereits am . an mich.
Auf Ihren Brief hätte ich Ihnen gleich geantwortet, und wohl auch ohne einen solchen
Ihnen geschrieben, wenn mir das Schreiben eines Briefes zur Zeit nicht so arg
zusetzte. Man hat Sie nicht falsch berichtet, aber ich nehme an, dass man Ihnen auch
den Grund dessen gesagt hat, was Sie meinen Groll nennen: es ist Ihr
Aufsatz über Hauptmann
in der »Zeit«, die ErgänzungFelix Salten: Der Fall Brahm. In: Die Schaubühne, Jg. 3, Nr. 9, 28. 2. 1907, S. 221–225. in der Schaubühne bestätigt mir nur den
Eindruck davon. Dass Sie ihn schrieben und wie Sie ihn schrieben! Diese schlecht
verhehlte Freude, diese falsche Gerechtigkeit, diese Demaskierung – mit einem Wort –
des kaltherzig berechnet leidenschaftlichen, des politisierenden Journalismus, –
alles dies hat mich bis in den Grund empört. Sie fangen damit an, die Ereignisse der
Premiere zu beschreiben,
und schön, anschaulich, mit aller wünschenswerten »Poesie« zu
schreiben und sind gar nicht dabei gewesen, – Ihre Freunde werden Ihnen, gefragt,
sagen können, wie sich das macht. Doch ich will und kann mich
nicht auf die Einzelheiten einlassen und ich hoffe, dass auch Ihnen daran nichts
liegt. Ich debattiere auch nicht mit Ihnen über Hauptmann und sein Werk, ich habe in dem ArtikelSie gelesen und das hat mich erregt; der Aufsatz von KerrAlfred Kerr: »Die Jungfern vom Bischofsberg.« Lustspiel von Gerhart
Hauptmann. Erstaufführung im Lessing-Theater. In: Der Tag, Nr. 64, 5. 2. 1907, S. [1–2]. hat meinen Beifall gehabt (bis
auf eine Stelle) auch das soll Ihnen sagen, was der Ihre mir gesagt und getan
hat.
Lassen Sie mich glauben, dass Sie nur eine Unklugheit getan haben; aber es wäre nicht
das erstemal, dass eine Unklugheit auch eine Unredlichkeit sein kann. Wenn irgend wer
Ihnen geraten hat, den Aufsatz zu publizieren, oder auch nur nicht abgeraten hat, der hat Ihnen
übel gedient, übler als ich in in diesem Augenblick.
Moritz Heimann
Wien-Heiligenstadt, 16Die Ziffer »6« wurde mit schwarzer
Tinte, wohl von Salten, durch
Ergänzung eines Oberstrichs aus der getippten »0«
gebildet.. April 1907.Lieber Herr Heimann
Sie bekommen meine Antwort erst heute, weil ich in
diesen Tagen viel Wichtiges zu tun hatte. Und weil ich Ihnen nicht unter dem ersten
Eindruck Ihres Briefes schreiben wollte.
Mir wurde kein Grund angegeben, weshalb Sie meinetwegen Ihr Herz ausschütten. Sondern
Herr Jacobsohn schrieb: »Heimann hat mir den Groll ausgeschüttet, den er gegen und
über Sie auf dem Herzen hat«. Das Wort »Groll« wiederholte ich dann einfach.
Herr Jacobsohn fügte hinzu: »Schreiben Sie ihm
selbst, wenn Sie Wert darauf legen, der Sache auf den Grund zu gehen.«
Ich legte Wert darauf, und schrieb Ihnen. An meine Hauptmann-Kritiken dachte ich dabei
gar nicht, denn die Wendung Jacobsohns »der
Sache auf den Grund gehen« deutete mir nicht darauf hin. Ich setzte auch voraus, dass
Sie vor einem offenen, mit aller Behutsamkeit, und – wie Sie wissen mussten – ohne
Leichtsinn ausgesprochenen Urteil einige Achtung haben. Ein Irrtum, der nun
aufgeklärt ist.
Ich schrieb Ihnen, weil ich schon vor Monaten zu mehreren Leuten (darunter auch zu
Wassermann und Trebitsch) geäussert hatte, Ihr Benehmen gegen mich während
meiner letzten Berliner Zeit und nachher sei mir
merkwürdig versteckt erschienen. Also schon lange vor den »Jungfern vom Bischofsberg«. Das deutete ich Ihnen auch in
meinem Briefe ziemlich lesbar an, und glaubte, Sie würden die Ihnen also gegebene
Gelegenheit, aufrichtig zu sein, benützen. Ein Irrtum, der jetzt gleichfalls
aufgeklärt ist.
Ich antworte Ihnen ausführlich. Einfacher und kürzer könnte ich auf Ihren Brief
entgegnen: »Ich bin kein Schurke,
Tybalt, ich seh’ Du kennst mich nicht – somit Lebwohl«. Aber es zeigt sich, dass
solche Milde übel angebracht ist und dass Tybalt bald darauf dennoch niedergeschlagen werden muss.
Deshalb antworte ich Ihnen lieber gleich ausführlich und erspare das Lebwohl für den
Schluss.
Man braucht Ihren Brief nur neben meine Hauptmann-Kritiken zu legen und Ihre
ganze Taktik enthüllt sich im Augenblick. Auch für diejenigen, die es nicht wissen
sollten, dass ich von Anfang an jedes Werk Hauptmanns mit Bewunderung aufgenommen habe. Auch für diejenigen, die es
weder aus meinen Schriften noch aus meiner persönlichen Bekanntschaft zu wissen
vermögen, dass ich mich niemals gefreut habe, wenn irgendwo einem arbeitenden Manne
ein Werk misslang. Und dass solche Freude meinem ganzen Wesen fremd ist.
Für jeden Unbefangenen sprechen es meine Hauptmann-Kritiken ohne alle
Unterstimmen aus, dass ich die »Jungfern vom
Bischofsberg« für schlecht halte. Nur diese. Dass ich aus Hauptmanns Prosa und aus eben diesem letzten Lustspiel den Eindruck empfing, er ermangle
der Selbstkritik und der Fähigkeit des artistischen Arbeitens. Dass ich für das
Misslingen dieses Lustspieles
Ursachen suche, die mir ausserhalb von Hauptmanns Person zu liegen scheinen. Vor allem aber, dass ich über diesen
Einzelfall hinaus an Hauptmanns dichterische
Bedeutung glaube, und meine Leser auffordere, über diesen Einzelfall hinweg der
Bedeutung des ganzen Mannes
eingedenkt zu bleiben.
Sie beschuldigen mich dagegen einer »schlecht verhehlten Freude«. Dass heisst, Sie
zögern keinen Augenblick es auszusprechen, dass Sie eine
niedrige Gesinnung bei mir annehmen. Darin liegt nicht nur eine Fälschung meiner
Kritik; (denn Sie werden allen Leuten, die meine »Freude« nicht ausfinden können,
lächelnd zu verstehen geben, dass Sie eben ein
feineres Gehör haben, als andere Menschen) darin liegt auch eine Treulosigkeit gegen
unseren persönlichen Verkehr. Denn nur, wenn Sie sich alles dessen entschlagen, was
Sie im Umgang mit mir an mir kennen gelernt haben, sind Sie imstande einen solchen
Vorwurf gegen mich zu erheben. Darin liegt aber auch schon die Bereitschaft, diesen
persönlichen Verkehr künftighin zur Bekräftigung Ihres Briefes umzufärben und zu
verleumden.
Viel deutlicher geht das Verhalten, zu dem Sie sich entschlossen haben, aus dem
andern Vorwurf hervor, den Sie mir machen, aus der von Ihnen sorgfältig zugefeilten
Formel vom »kaltherzig, berechnet leidenschaftlichen, politisierenden Journalismus«.
Was Sie hier begehen, ist weit schlimmer. Gerade Sie kennen mich genug oder sind doch
– was dasselbe bleibt – verpflichtet, mich hinlänglich zu kennen, um zu wissen, dass
ich nicht kaltherzig bin und dass, wenn Leidenschaftlichkeit bei mir irgendwo zutage
tritt, nicht die Spur einer Berechnung mit dabei ist. Gerade Sie wissen, warum ich
als produktiver Mensch den Journalismus ausübe und wie ich ihn ausübe. Dass ich
jemals politisierend meine Urteile gedrechselt hätte, ist aus meinem
Leben kein einziges Mal ersichtlich. Trotzdem werfen Sie mir
diese Worte zu und vergreifen sich an mir, Sie – an mir, Sie, der den Journalismus
mit solcher Mühe umwirbt – an mir, der ich von meinem Standpunkt aus mit Ihnen über
Journalismus gar nicht zu reden brauchte; – Sie – an mir, der Sie sich damit
begnügen, in gefahrlos verschwiegenen Zimmern ohne alle Verantwortung zu predigen und Klugreden zu halten, –
an mir, der beständig seine Haut zum Markte trägt.
Sie sprechen von einer politisierenden Absicht, und sagen dann: »Wenn irgendwer Ihnen
geraten hat, diesen Artikel zu publizieren u. s. w.« Sie haben also die Ansicht, dass
man – ehe man sein Urteil publiziert, – sich dazu raten oder davon abraten
lässt. Sie haben die Anschauung, dass man sich
gemeinschaftlich darüber einigt, etwa gruppenweise oder durch Klüngelinteressen
zusammengeführt, darüber berät, ob es »klug« oder »unklug« ist, diese oder jene
Ansicht zu publizieren, kurz, dass man hier nach einer gewissen gemeinsam
beschlossenen Taktik vorgeht.
Ich habe von jeher meine Kritiken veröffentlicht, ohne sie vorher irgend einem
Menschen zu zeigen, auch ohne zu bedenken, ob mir das, was ich sage, Freunde oder
Feinde, Nutzen oder Schaden bringt, habe von jeher dieses Verfahren – wenn man nur
seine aufrichtige Ueberzeugung sagt – für das einzig mögliche gehalten, und stehe nun
voll Erstaunen vor einer Denkweise, die mir übrigens sehr viel Licht über Ihren
ganzen Brief verbreitet.
Sehen Sie, lieber Herr Heimann, aus diesem
Schluss Ihres Briefes, aus Ihren Worten, die Sie im Vollton bedauernder Wohlmeinung
aussprechen, raucht mir etwas entgegen, was mir zuwider ist. Hier haben Sie sich ganz unwillkürlich etwas
entschlüpfen lassen, und Ihr Brief wird dadurch auf einmal zu einem Dokument
gestempelt.
Sie durften sich’s – vielleicht – erlauben und von einer Unklugheit sprechen, wenn
Sie es nämlich annehmen, dass es ein Ziel des Klugen sein muss, mit seiner Meinung
einflussreichen Personen zu gefallen. Aber Sie durften nicht – auch nicht
vermutungsweise – von einer Unredlichkeit sprechen. In meinem ganzen Leben, in meiner ganzen publizistischen
Tätigkeit ist nichts vorhanden, was Ihnen ein Recht dazu gibt. Wenn Sie es trotzdem
tun, dann ist es eben Ihre Gesinnung gegen mich, die nach einem schmähenden Ausdruck
langt, die aber ihrem Schimpf gerne den Anschein einer höheren Gerechtigkeit geben
möchte. Leider kann ich Ihnen solchen Luxus nicht gestatten. Und ich habe für das
Wort Unredlichkeit nur die eine Entgegnung: Frechheit.
Sie werfen mir vor, ich hätte die Premiere »beschrieben« ohne dabei gewesen zu sein. Diesem Vorwurf liesse
sich selbst dann begegnen, wenn ich den Abend beschrieben hätte. Ich habe jedoch aus Berichten, die übereinstimmend in
allen Zeitungen zu lesen waren, wie nach absolut glaubwürdigen Privatnachrichten in
knapp zehn Zeilen konstatiert, dass dieser Vorfall sich ereignet hat. Mehr nicht.
Dieser laute und überall besprochene Vorfall bildete den äusserlichen Ausgangspunkt
meines Artikels. Deshalb
musste dieser Vorfall auch am Anfange des Artikels konstatierend erwähnt werden. Das ist eine Sache
der Technik, von der ich allerdings glaube, dass Sie sie nicht verstehen. Ich bin
aber gar nicht mehr im Zweifel darüber, dass Sie den Unterschied zwischen Beschreiben
und Konstatieren diesmal absichtlich verwechseln. Und ich weiss, dass Sie mala fidelateinisch: bösen Glaubens
handeln, wenn Sie mir zumuten, (Sie mir) ich hätte nach einem Berliner Theaterskandal geschnappt, um ihn zum Gegenstand einer
»Schilderung« zu machen!
Damit allein aber geben Sie sich nicht zufrieden. Sie müssen noch sagen, ich hätte
»schön« »anschaulich« beschrieben, müssen das Wort Poesie unter Anführungszeichen
setzen und hoffen dabei, das werde mich treffen, weil es gegen Dinge in mir gerichtet
ist, die mir am wertvollsten sind und von denen im Umkreis meiner Tagesarbeit
sprechen zu lassen, mir empfindlich sein kann. Hier brechen Sie mit Vorbedacht
und mit Hohn in die Intimität meines Wesens ein, um mich desto sicherer zu verletzen.
Dieser dreiste Griff an die geistigen Schamteile und Zeugungsorgane eines andern ist
so widerwärtig, so durch nichts entschuldbar, dass ich ihn hier nur feststelle und weiter nichts drauf sage.
Ihr ganzer Brief ist lediglich eine Spekulation auf meine Gutmütigkeit. Hätten Sie
mich nicht für so gutmütig gehalten, Sie hätten es nie versucht, mich mit dieser
wohlfeilen Literaten-Psychologie zu dupieren.
Sie haben irgend ein dumpfes Gefühl gegen mich, das ich bei Ihren Jahren und in Ihrem
Zustande schliesslich begreife, und das ich bezeichnen könnte, wenn ich wollte. Die
absolute Wahrheit meiner Hauptmann-Kritiken reizt gewisse
Empfindlichkeiten und Instinkte in Ihnen, die ich gleichfalls bezeichnen könnte.
Aber Sie schweigen. Trotzdem unser Umgang Ihnen jede Handhabe bietet, offen mit mir
zu sein und (wenn Sie mich einmal sachlich im Unrecht glauben) sachlich und anständig
zu mir zu kommen und mit mir zu reden trotzdem schweigen
Sie gegen mich und »schütten anderen Ihr Herz aus«. Erst als ich davon höre und in
einem erklärlichen Reinlichkeitsbedürfnis Sie gradeaus frage, – erst dann bequemen
Sie sich zu einer direkten Aeusserung. Dabei jedoch wollen Sie vor mir verheimlichen,
was in Ihnen vorgeht, möchten aber trotzdem als ein aufrichtiger und freimütiger Mann
vor mir erscheinen.
Und so schreiben Sie diesen Brief, der freimütig aussehen soll, geben sich als den
Rechtschaffenen und Wackeren: Nicht etwa, dass Sie keine Kritik vertragen Gott bewahre! Bis auf eine Stelle (ich könnte diese
Stelle nennen) hat
KerrIhren »Beifall« gehabt. Nicht,
dass ich etwas gegen Hauptmann zu sagen wagte, beanstanden Sie behüte! Sie debattieren nicht mit mir über Hauptmann. Sie machen es viel geschickter: Sie
sprechen über mich. Weil Sie gegen meine
künstlerischen Argumente unfähig sind etwas vorzubringen, muss ich es sein, meine
ganze Person, wogegen Sie sich wenden. Hier können Sie sich die Argumente sparen,
(meinen Sie), und beweislos den Schreiber beschimpfen, da gegen das Geschriebene
nicht gut anzukämpfen ist. Gelingt es nur, den menschlichen Wert des Kritikers zu
vernichten, dann ist auch seine Kritik entwertet und kann aus der Hauptmann-Debatte ohne weiteres ausgeschaltet
werden.
Sie verfahren dabei wirklich sehr schlau, gebrauchen »feine« Worte und Wendungen,
nehmen einen »höheren« Standpunkt ein, damit der meinige tiefer erscheine. Sie geben
sich eine edle Haltung, indem Sie eine kerzengerade Sache auf eine pfäffische Weise
verdrehen. Sie sind salbungsvoll, gerecht und fromm, damit Sie Recht behalten und ich im Unrecht bleibe.
Wenn einer von uns beiden der Politisierende gewesen ist, dann
sind Sie das, mein lieber Herr Heimann! Und es
wäre mir nicht schwer, jetzt die Offensive zu ergreifen, und Ihnen zu beweisen, Ihnen
Punkt für Punkt nachzurechnen, dass Sie lange schon, immer und überall politisierende Kleinliteratur und
literarische Politik betreiben und betrieben haben. Denn jetzt ist mir doch über
viele Dinge, besonders aber über dieses unverantwortliche, behutsam rückversicherte
Predigertum ein Licht aufgegangen.
Sie haben die Sache mit mir sehr klug angefangen, aber es war doch recht töricht von
Ihnen, gar so klug sein zu wollen. Sie haben mich für gutmütig gehalten und damit
nicht schlecht geurteilt. Nur
dass ich jetzt meine Gutmütigkeit doch ein wenig zu zügeln verstehe, was Sie freilich
nicht voraus wissen konnten. Ihnen war nur bekannt, dass ich in meinem Leben schon
oft von Gehässigkeit, verletzten Eitelkeiten und geschädigten Cliquen-Interessen
wütend angefallen worden bin, und niemals so viel Ernst für derlei Dinge aufgebracht
habe, um sie energisch abzuwehren. Jetzt aber bin ich zu der Ueberzeugung gelangt,
dass es ein Unrecht war, mir von den Leuten, denen meine Kritik wider den Strich
ging, Böswilligkeiten bieten zu lassen. Ich habe nachgerade genug von diesem Spiel
und bin fest entschlossen, es nicht mehr zu dulden, wenn sich Literaten-Schmähsucht
an mir vergreifen will, es nicht mehr zu dulden, wenn ein Einbruch in mein Wesen
versucht wird. Sie sind jetzt der erste, den ich wieder einmal
dabei abfasse.
Ich lege den Akt Heimann so wie er ist (meine
Artikel, Ihren
Brief, meine Antwort) zur Feststellung des Sachverhaltes für künftige Geschehnisse
und zur persönlichen Aufklärung für diesen jetzigen Vorfall in die Hände einiger mir
wertvoller Menschen.
Mit Ihnen selbst bin ich fertig, und schliesse meine Privatkorrespondenz mit Ihnen
ein für allemal. Sollten Ihnen weitere Auseinandersetzungen mit mir erwünscht sein,
dann verweise ich Sie vor die Oeffentlichkeit. Was Sie dort vorbringen, werde ich
anhören, und Ihnen eben dort entgegnen. Die Bequemlichkeit der Hintertreppe und die
Gefahrlosigkeit des Literaten-Schwatzes, kurz diesen ganzen Komfort, den sich
Menschen in Ihrer Lage auf Kosten anderer so gerne gestatten, kann ich Ihnen zu
meinem Bedauern nicht zubilligen.