W. Schöneberger-Ufer 34.113. 1. 101.Lieber Freund,Die Übersendung der Kopien meiner
Briefe.
habe ich mit einiger Sorge erwartet. Denn in jener Zeit, in der diese
Angelegenheitspielt, war mir die Freundschaft mit Dir sehr viel, bildetesie eines der großen Besitztümer meines Lebens. Und ich
fragte mich, ehe ich die Kopien erhielt,:sollte ich nicht vielleicht, in der Sorge, dieses Freundschafts-Besitztum
vor jeder Gehahr zu behüten, michschwach gezeigt haben?
Als ich die Copien las, war ichstarr vor Staunen. Das also waren die »Beweisstücke«Bezug auf die Auseinandersetzungen am und vor allem am , .
gegen mich! Dies die Dokumente gegen meine Ehre! Denn es ist Dirsicherlich
nicht klar geworden, daß essich in alledem um meine Ehre handelt, – daß Du meine
Ehre angreifst, indem Du mich als einen Menschen hinstellst, der heimlich lobt u.
öffentlich tadelt, der inseinen Briefen dem Freundeschmeichelt u. ihn dann
öffentlich – noch dazu, wie Du weißt, mit einem besonderen Vergnügen –
herunterreißt.
Das also waren die Dokumente! Ich las die Briefe u. fand, daß ich darin mit aller
Deutlichkeitstarke Bedenken gegen Dein Werk formulirt hatte, – mit aller Deutlichkeit für Jedermann
außer für den durch Größengefühl und
Selbstgefälligkeit jeden Urteils beraubten Autor. Jeder ruhig u. objektiv Urteilende
wird auch finden, daß meinespätere öffentliche KritikPaul Goldmann: Berliner Theater. (»Der Schleier der Beatrice« von Arthur
Schnitzler). In: Neue Freie
Presse, Nr. 13.851, 19. 3. 1903,
Morgenblatt, S. 1–5. nichts ist als die Ausführung der in den
Briefen bereits kurz formulirten Bedenken. Jeder ruhig u. objektiv Urteilende wird
weiter finden, daß in diesen Briefen ein Freund dem Freunde die Wahrheitsagt, daß der Freund aber gleichzeitig bestrebt ist, dem Freunde nicht wehzutun, u.
daß er darum, damit der Tadel, den er auszusprechensich genötigtsieht, nur ja nicht
verletze verletze verletze, d das Lob, das erspenden kann, in möglichststarken Ausdrücken formulirt. Dire großen Fehler, unter den,en, meiner Ansicht nach, Dein Stück leidet, isind in meinen Briefen klar gekennzeichnet. Du hast darüber hinweggelesen u.
von meinen Briefen nur behalten, daß ich Dich mit Grillparzer verglichen.
habe. Das ist bezeichnend – aber nicht für mich,sondern für Dich.
In meinen Briefen habe ich Dich gelobt. Und in meiner Kritik? In meinen Briefensteht: »Seit Grillparzer hat man auf dem Wiener Theatersolche Verse nicht gehört.« In meiner
Kritik: »In der Form wenigstens zeigt Schnitzlersich als ein würdiger Schüler der Meister (der Klassiker), denen er nacheifert. Daß Schnitzler diese Formsich anzueignen vermochte, deutet auf eine
künstlerische Selbsterziehung hin hin, die man bei
den deutschen Autoren der Gegenwartselten findet; es ist ein weiter, mühevoller,
ehrenvoller Weg vom ›Anatol‹ bis zum ›Schleier der
Beatrice‹. Das Dramaspricht namentlich inseinen Versen – wohllautenden
Versen von wienerischer Weichheit – eine
vornehme Sprache.« An einer anderen Stelle wird von »prächtigen Versen« gesprochen, die dann citirt werden. Von
Beatrice wird gesagt, daßsie »ein
liebliches Geschöpf ist, eine echt Schnitzlerische Mädchengestalt, von poetischem Schimmer
umflossen«. Von einer Scene wird gesagt, daßsie »die bedeutendste des Stückes ist u. Schnitzlers
dramatische Begabung im hellsten Lichte zeigt« etc.
Und von dieser Kritik wagst
Du zu behaupten, daßsie doch Dein Werk verreißt, während meine Briefe es
gelobt haben? Ich muß noch die Einschränkung machen, daß die lobenden Ausdrücke in
meinen Briefen stärker klingen, als in der Kritik. Einen Grund dafür – das Bestreben des Freundes, mit möglichst viel Lob den Tadel, den er ausspricht, weniger
empfindlich zu machen – habe ichschon angeführt. Ein anderer Grund ist der, daß man
in einem Privatbriefseine Ausdrücke nichtso vorsichtig abwägt, wie man dies tut,
wenn man in der Ausübungseines kritischen Berufes, in dem Bewußtsein, daß man für jedes Wort die volle Verantwortung zu
übernehmen hat, vor öffentlichsich äußert. Entsteht aus diesem Grunde ein Widerspruch zwischen
Privatbriefen des Kritikers u. der von ihm veröffentlichten Kritik,so trifft die Verantwortung nicht den Kritiker,sondern
den, der es versucht, P dessen Privatbriefe gegen ihn
auszuspielen.
Im Übrigen aber habe ich angesichts der Briefkopien u. der Kritik, die beide hier vor mir liegen, mit
aller Entschiedenheit zu erklären: Die Briefe loben nicht nur das Stück,sondernsiesprechen auch bereits
die EinwendungenSiehe insbesondere die Briefe Goldmanns an Schnitzler vom , und . aus, die, meiner Ansicht nach,
dagegen zu erhebensind. Die Kritik tadelt nicht nur das StStück,sondern läßt ihm auch alle jene Anerkennung zuteil werden,
die es, meiner Ansicht nach,
verdient. Es besteht höchstens in der Nuance einiger
Ausdrücke, aber im Wesen kein Widerspruch zwischen den Briefen u. der Kritik. Und den Vorwurf, den g Du gegen mich erhoben hast, daß ich als Freund wie
als Kritiker meine Pflicht gegen Dich vergessen habe, weise ich mit Entrüstung
zurück
Ich komme jetzt zum zweiten Fall, dem Fall der
»Lebendigen Stunden«. Hier liegen leider
keine Dokumente vor, keine BriefeDas ist ein weiteres Indiz dafür, dass Schnitzler nur Ausschnitte aus der
Korrespondenz von 1900 als Briefkopien vorgelegt hatte.
Tatsächlich hatte Goldmann selten brieflich
Kritik an Lebendige Stunden geübt, und ., von
denen Du Kopien hättest machen können. Hier handelt essich um mündliche Äußerungen,
die ich getan habensoll. Würdensie im genauen, beglaubigten Wortlaut vorliegen,so
würdensich die »Widersprüche« zwischen diesen Äußerungen u. meinerspäter
veröffentlichten KritikPaul Goldmann: Berliner Theater. (»Lebendige Stunden« von Arthur
Schnitzler). In: Neue Freie
Presse, Nr. 13.438, 22. 1. 1902,
Morgenblatt, S. 1–4. wahrscheinlich ebenso aufklären, wie im
Falle der »Beatrice«. Möglicherweise habe ich auch hier
Einwendungen formulirt, über die Du hinweggehört hast, wie Du über die gegen die »Beatrice« in meinen Briefen hinweggelesen hast. Ich habe nicht einmal meine Kritik über die »Lebendigen Stunden« zur Hand u. kann daher nicht
konstatiren, obsie wirklichso ohne jede Einschränkung tadelnd war, wie Du
behauptest. Denn ich habe diese KriBesprechung in die Sammlungen meiner KritikenGoldmann hatte bereits mehrere Kritiksammlungen veröffentlicht (Die
»neue Richtung«, 1903, Aus dem dramatischen Irrgarten, 1905, Vom Rückgang der deutschen
Bühne, 1908, und Literatenstücke und Ausstattungsregie,
1910). In dem Band von 1905 sind GoldmannsKritiken zu Der
Schleier der Beatrice und zu Der einsame
Weg enthalten. Der Band von 1908 enthält GoldmannsKritik zu Der Ruf des
Lebens. nicht aufgenommen. Warum nicht? Weil ich mir damalssagte:
die Kritik zuschreiben, war
meine Pflicht; sie in mein Buch aufzunehmen, bin
ich nicht verpflichtet; u. ich habesie nicht aufgenommen, aus Rücksicht auf den
Freund, über dessen Werksie
ungünstig urteilte. In einem eigentümlichen Lichte erscheint mir heut diese Rücksicht
auf den Freund, der Briefe von mir, in denen ich redlich bestrebt war, ein herzliches
freundschaftliches Empfinden mit der Wahrheit in Einklang zu bringen, heranzieht, um
damit meine Charakterlosigkleit zu beweisen!
Es fehlen mir also für den Fall der »Lebendigen
Stunden« alle Dokumente, u. ich bin auf mein Gedächtnis angewiesen. Dieses
Gedächtnissagt mir, daß ich mich, nach der Vorlesung im Walde zu WelsbergAm , siehe auch .
, über die Stücke
lobend geäußert habe. Als ichsie dann auf der Bühnesah u. ihre Schwächen klar erkannte, habe ich dem Ausdruck gegeben. Mein
kritisches Gewissen fühltsich durch diesen »Widerspruch« nicht im mindesten
belastet. Denn Stückesind nicht dazu da, im Walde vorgelesen,sondern aufgeführt zu
werden; u. ein jedes vor der Aufführung abgegebene Urteil über ein Stück kann immer nur ein Urteil mit Vorbehaltsein. Wenn ich nach
der Aufführung über die »Lebendigen Stunden«
ungünstig geurteilt haben würde u. die Stücke wären doch gut, hätte ich als Kritiker gefehlt. Da ich
die Stücke aber nach wie vor
nicht für gut halte (von manchen Qualitäten abgesehen, welche die ersten haben, u.
abgesehen auch von demsehr hübschen Einakter »Literatur«), da überdies ihr geringer Erfolg auf der Bühne mein das in meiner Besprechung ausgesprochene Urteil bestätigt, bin ich als Kritikersicher nicht im Unrecht; u.
ich finde, daß es eine Lächerlichkeit ist, gegen das öffentlich abgegebene Urteil eines Kritikers, das er
genau u.sachlich begründet hat, Äußerungen ausspielen zu wollen, die er nach einer
Vorlesung im Walde getan hat.
Ich habe mein Gedächtnis weiter angestrengt u. kann mich an die Äußerung, die ich weiteraußerdem getan habensoll, daß ich nämlich bedaure, nichtselbstsolche Stückeschreiben zu
können, nicht mehr erinnern. Aber ich will nicht in Abredestellen,sie getan zu
haben. Warumsollte ich auch nicht von Stücken, die mir
gefielen, gesagt haben, daß ich bedaure,sie nicht auchschreiben zu können? Wenn
aber weiter behauptet wird, ich hätte gesagt, ich möchte mich »erschießen«, weil ich
Solches nicht leisten kann,so erkläre ich dies für eine Unwahrheit. JFeststellung dies. Ich weiß, daß ich das nicht gesagt haben kann u. auch
nicht gesagt habe, weil ich weiß, daß ich mich nicht mit weibischem Schwulst auszudrücken pflege,sondern die Gewohnheit habe,
zu reden, wie ein Mann
Lieber Freund, Du hast mir auch bei unserem letzten BeisammenseinAm ,
siehe oben. wieder jede Fähigkeit zum Kritiker abgesprochen. Diese Deine
Ansicht über mich ist mirseit Langem bekannt. Sie ist für mich gewiß nicht
belanglos. Denn ich habe nicht die Selbstsicherheit, die Du besitzest u. die Dich zu
dem Ausspuch veranlaßt, daß es Dir gleichgiltig
ist, was die »wir Andern« über Dichschreiben. Mir
ist es gar nicht gleichgiltig, was die Andern über michschreiben odersagen. Wohl
habe ich künstlerische WeltanschauungenAnschauungen, von deren Richtigkeit ich unerschütterlich überzeugt bin. Aber ich prüfe
jedes nochso ungünstige Urteil über mich, ob es nicht vielleicht doch etwas Wahres
enthält, u.suche von jedem Andern, auch vom heftigsten Gegner, etwas zu lernen. Man
mußschon ein mit Erfolg aufgeführter dramatischer Autorsein, um das Bewußtsein mitsich herumzutragen, daß
man von Anderen nichts mehr zu lernen habe. Bei ernststrebenden Menschen in anderen
Berufsarten wird man dieses Bewußtsein kaum wiederfinden.
Mir ist es nicht gleichgiltig, was die Andern von mirsagen, – u. ganz gewiß nicht
gleichgiltig, was ein alter Freund von mir denkt. Aber mit Deiner Mißbilligung meiner
Wirksamkeit als Kritiker habe ich mich längst abgefunden.
Ich habe mir gesagt, daß Deine u. mein Lebenswegso
weit auseinandergegangensind, daß Deine u. meine
Entwickelung eineso gänzlich verschiedene Richtung eingeschlagen haben, daß Du mich
eben nicht mehr verstehst u. verstehen kannst. Dusiehst ja auch all’ das, worüber
ich als Kritiker zu urteilen habe, von einem ganz anderen Standpunkt an, als ich. Du
bistselbst beteiligt, bistselbst Partei. Meine künstlerischen Überzeugungen haben
mich dazu geführt, Stellung gegen die die meisten der dramatischen Autoren unserer Generation, Stellungsogar gegen
manches Deiner Werke zu nehmen. Wie darf ich da
von Dir erwarten oder gar beanspruchen, daß Du meine kritische Tätigkeit
billigst!
Ich habe es Dir also niemals verargt, daß Du mich für einenschlechten Kritiker
hältst. Ich habe allerdings, wenn ich mit Dirsprach u. von Dirso manche Anschauung
hörte, die ich für falsch halten muß, im Stillen Gott gedankt, daß ich nicht ein
Kritiker geworden bin, den Du für gut halten würdest.
Deine Urteile über meine kritische Tätigkeit
haben mich also nie von Dir abgestoßen; u. ich war fest entschlossen, trotz alledem
Dir eine Freundschaft zu erhalten, die nunschon mehr als zwanzig Jahre alt
ist, u. von der,sosehr wir auch innerlich
entfremdetsind, doch ein enormes u. herzliches Gefühl für Dich bei mir
zurückgeblieben ist.
Nun aber hast Du in unserer letzten Unterredung im Hause Deiner Mutter in Deinen Angriffen gegen mich eine Grenze
überschritten, die Du nicht überschreiten
durftest. Von meinen Fähigkeiten als Kritiker darfst Dusagen, was Du willst. In
dieser Unterredung aber hast Du es versucht, meine Ehre anzutasten. Und diesen
Versuch muß ich mit der äußersten Schärfe zurückweisen. Die
Sprache nu Selbst eine zwanzigjährige Freundschaft gibt
Dir nicht das Recht zu einer Sprache, Diedie Du in jener Unterredung Dir herausgenommen hast, gegen mich zu führen. Das
kann u. werde ich nicht dulden! Und es ist unehr unerhört, es ist eine der bittersten Erfahrungen
meines Lebens, daß ich, nachdem ich in einemschweren Lebenskampfe meine Ehre rein u.
flankenlos erhalten habe, mich nun gegen den ältesten u. mir einst nächsten Freund
zur Wehrsetzen will muß, der meine Ehre bef beflecken will. An jener Unterredung, in der Du ich Du über mich, der ich als Gast im Hause Deiner Mutter weilte, hergefallen bist, wie über einen charakterlosen Lumpen, denke ich zurück mit
einer Mischung von Scham, Widerwillen u. Empörung; u. ich konnte nicht Ruhe finden,
ehe ich Dir diesen Brief geschrieben, um Deine Anwürfe von mir abzuschütteln, –selbst auf die Gefahr hin, daß dieser Brief den Bruch unserer zwanzigjährigen
Freundschaft herbeiführensollte.
Mit herzlichem Gruß
Dein
Paul Goldmann.