28. I. 907.Auch Schweigen wäre
Unaufrichtigkeit.Der unmittelbare
Anlass für diesen nicht abgesandten Brief ist unklar. Womöglich war das
letzte Feuilleton Goldmanns
ausschlaggebend: Berliner Theater. »Mensch und
Übermensch« von Bernard Shaw (Neue Freie Presse, Nr. 15.241,
25. 1. 1907, Morgenblatt, S. 1–4). Zumindest mit der
Wiederaufnahme des Begriffs ›polemisieren‹ aus dem vorangegangenen (erhaltenen)
Brief Goldmanns vom bettet sich
dieses Schreiben in die Korrespondenz ein. Zugleich verfügt er durch die
Unterscheidung zwischen Dichter und Literat (ersterer arbeitet unter Einsatz
seiner Persönlichkeit), eine bedeutsame biografisch-werkästhetische Aussage für
Schnitzler. Das dürfte dieser selbst so
gesehen haben, denn dieser Text wird (zusammen mit den Abschriften seiner Briefe
an Goldmann, vgl. auch ) nicht bei den restlichen Briefen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach aufbewahrt, sondern findet sich im literarischen Teil des Nachlasses in
der Cambridge University Library. Ich muss es Dir wieder einmal sagen. Seit Jahren, Du weisst es, verfolge ich
Deine Feuilletons mit wachsendem WiderstandDie Unterstreichung, die sich hier in der Vorlage befindet,
dürfte von Schnitzler stammen und einem
archivalischen Zweck dienen, nicht der Textauszeichnung des Originals.. Es
braucht nicht erst gesagt zu werden, dass auch meinem Geschmack Einzelheitenkorrigiert aus »einzelheiten
« zusagen.
Dass Du in einzelnem Recht hast. Aber als ganzes verwerf ich sie durchaus. Gesinnung
und Ton. Ich wünsche nicht mit Dir zu polemisieren,
vielmehr, ich betone ausdrücklich, dass ich Unrecht haben
kann,korrigiert aus »kann.,
« dass Du
sachlich Recht
haben, dass Du sogar gut schreiben magst. Alles das ist möglich. Aber erst in einer
fernen Zukunft wird das zu entscheiden sein. Und wir haben keine Zeit das abzuwarten.
Das Wesentliche ist nur, dass Du und ich wie zwei fremde Welten einander gegenüber
stehen. Dass unser Verhältnis zu dem, was heute gesagt, gedacht, geschrieben wird, in
den wesentlichsten Punkten völlig von einander verschieden ist. Wir sind vor fünf Jahren anlässlich Deiner StellungnahmeHauptmannHöchstwahrscheinlich bezog sich Schnitzler auf ein älteres Feuilleton, nämlich Paul Goldmann: »Michael Kramer«. In: Neue Freie Presse, Nr. 13.055, 28. 12. 1900, Morgenblatt, S. 1–3, bzw. auf darauffolgende
Feuilletons und damit einhergehende Auseinandersetzungen, , und .
gegenüber zum erstenmal brieflich an einander geraten. Ich habe es
vorgezogen, eine Disskussion abzubrechen, deren
Hoffnungslosigkeit vom ersten TagAugenblick an klar zu Tage lag. Der Verdacht, den später einmal andre, die mich nicht
kennen, äussern könnten, dass erst persönliche
Empfindlichkeit mich die Verschiederheit unserer Anschauungen, unserer Naturen entdecken liess, fällt damit fort. Nun bin ich aber fern
davon zu glauben, dass es zu den lebhaften inneren Differenzen gekommen wäre, wie sie
nun bestehen, wenn nicht auch meine rein persönliche Sache zur Verhandlung stünde.
Auch hier schalt ich gleich die Frage des Recht- oder Unrechthabens aus. Vielleicht
wird Dir die Zukunft beistimmen und wird bei allen Dichtern deutscher Sprache, die
heute leben und schaffen, konstatieren, was
Du heute konstatierst, dass sie Dramen schreiben, in denen alles mangelt, was einem Gedanken auch nur von fern
ähnlich sieht. Und dass man überall in Deutschland Ideen finden kann, nur nicht im modernen
deutschen Drama. Sehr möglich, dass Du recht hast. Jedenfalls steht für mich die
Sache so, dass ich nicht umhin kann, mich mit den Dingen, die
ich schreibe zu identifizieren. Es ist mir selbstverständlich bis heute noch nicht
gelungen mich und meine Welt völlig zum Ausdruck zu bringen, aber die Arbeiten der letzten Zeit enthalten so viel von mir, dass der,korrigiert aus »dass, der
« der sie
ablehnt, von mir als Ganzenm sich abwenden muss. Das hat nichts mit persönlicher Eitelkeit zu tun. Es
gibt Schriftsteller bei denen es möglich ist ihr Schaffen von ihrem Dasein zu
trennen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich vermeide es mich hinter der Legende von einer
Persönlichkeit zu verstecken, die es verschmäht oder nicht imstande ist, ihr bestes,
ihr Eigenstes in ihren Werken zum Ausdruck zu bringen. Man kann es zum Beispiel bei Lothar trennen, was er ist und was er schreibt, kann es vielleicht in anderm
Sinn bei Hofmannsthal,
wieder in anderm bei Fulda, gerade bei mir
kann man es nicht. Ich bin, was wieder die Zukunft zu
entscheiden haben wird, vielleicht ein niederträchtiger Dichter, aber ich bin ein
Dichter und kein Literat. Und übernehme die Verantwortung so gut für den Reigen, wie für den einsamen Weg, für den blinden
Geronimo, wie für die Berta Garlan u. s.
w. Natürlich weiss ich sehr gut, dass mir formal einiges mehr,
anderes minder gelungen ist und verstehe ohne weiters, dass
auch jemandem, der mich schätzt, das eine oder das andre
meiner Werke zuwider ist. Aber ich bestreite es, dass irgend ein Mensch, der beinah
zu keinem dieser Werke ein Verhältnis zu finden imstande ist (und ihren Gehalt nicht
spüren heisst für mich: kein Verhältnis zu ihnen finden) zu
mir persönlich in irgend einem wirklichen Verhältnis zu stehen imstande ist. Sind diese Werke ideenlos und
gering, so muss ich es selbst auch sein. Und es ist nur ein
Gebot der Selbstachtung, eine menschliche Beziehungkorrigiert aus »Beziehung,
« jener
schönen Lüge zu entkleiden, die sie durch die Ursupierungkorrigiert aus »Ursopierung
« des schönen Wortes Freundschaft um die Schultern schlägt. Und die Erinnerung
unserer früheren Freundschaft steht mir zu hoch, als dass ich die Illusion aufrecht
erhalten dürfte, zwei Menschen, die so ziemlich über alle Dinge
der Welt so verschieden denken, wie ich und Du könnten Freunde bleiben oder weiter
Freunde heissen.