SZ18. Mai 1927SalzburgKapuzinerbergLieber verehrter Herr Doktor, man sagt mir, irgend eine Zeitung
hätte Ihren fünfundsechzigsten
GeburtstagSchnitzler wurde am 65.
Mehrere Zeitungen berichteten. gemeldet: nun, den habe ich gründlich
verschlafen und komme mit einem späten, darum nicht minder herzlichen Glückwunsch.
Und sage Ihnen gleichzeitig Dank für Ihre ausserordentliche NovelleSpiel im Morgengrauen erschien zwischen dem
5. 12. 1926 und dem 9. 1. 1927 in sechs
Fortsetzungen. Die Buchausgabe bei S. Fischer
wurde am 9. 3. 1927 erstmals im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel angekündigt und in den Tagen vor
dem
ausgegeben. . Ich hatte seinerzeit die ersten drei Fortsetzungen in der B. I. gelesen, die andern versäumte ich und war
schon z– besser und wichtiger! – ich blieb gespannt
und hatte so deutlich alle Figuren und Situationen im Gedächtnis, dass ich im Buche gleich dort weiterlas, wo
mir die Continuität genommen war. Ich erzähle Ihnen das, um Ihnen am lebendigen
Obiect die Plastik Ihrer Figuren zu erweisen: ich hatte nicht einen Zug von ihnen
vergessen, so scharfkantig waren sie in mein Gedächtnis eingeprägt. Ja, das ist
wieder eine ausserordentliche Novelle, geradling im Ablauf und doch kreisförmig rund, rein abgeschlossen
und vier Menschen voll erfüllend, fünf eigentlich, denn auch der Consul, den Sie bewusst abdunkeln, erfüllt
sich als Character. Vorbildlich bleibt mir die Ruhe Ihres Erzählens erregter und
erregender Zustände: ich fühle, wie viel mir da von Ihnen zu lernen nottut und ich
schäme mich nicht, willig dies Vorbildliche Ihrer ruhig referierenden und dabei den
Atem der andern festhaltenden Kunst einzugestehen. Möge Sie dies grossartige Gelingen Ihrer epischen
Ausdrucks entschädenigen für die hässliche, mesquine und undankbare Art, mit der man gegen Ihre
dramatische Production verfährt. Ich empfinde es als ein Unrecht gegen uns alle im
Sinne der geistigen Gemeinschaft, dass Ihrem letzten Stück sich das würdige TheaterBereits Anfang 1926 war die
Buchausgabe von Der Gang zum Weiher erschienen, kein Theater wollte sich aber zur Uraufführung verpflichten. Diese
fand schließlich erst am am Burgtheater
statt. nicht gefunden hat, dass der
erbärmlichste französische Dreck meisterlich insceniert und interpretiert wird,
indess man wagt, ein edlesel geformtes und geistig ergreifendes Werk von Ihnen so einfach zur Seite zu
legen. Ich empfindespüre diese Art Kränkung vehementer als eine mir selbst zugefügte.
Sonderbar: in der Novelle
erhob sich mir jener Einwand, den ich bei Fräulein
Else schon verspürt hatte. Sie scheinen mir, Sie, der im Leben so
Bescheidene, in der Kunst verschwenderisch mit dem Gelde. Ich habe, obwohl aus
reichem Hause, einen Tausendguldenschein bei meinem Vater
nie gesehen und kann mir kaum ausdenken wo die Leopoldineihndiese schwer zu beschaffende Note so rasch aufgetrieben hat. Mir wäre es tragischer erschienen, wenn ein amer Teufel
von Leutnant schon um einer jämmerlichen Summe von 800 Gulden zu Grunde gienge.
Elftausend, das war damals schon eine kleine Villa in Hietzing. Seien Sie nicht böse, dass ich auch auf solche Kleinigkeiten sehe: ich glaube nur rein
technisch, dass es wichtig ist zu zeigen, wie im Leben oft an einem Hosenknopf ein
Schicksal scheitert. Die grosse Summe steigert den Leichtsinn des Leutnants und
entschuldigt das Zögern seiner Verwandten: ich hätte als junger Mensch bei all meinen
reichen Verwandten um 1000 Gulden schon vergeblich gebeten. Dies wahrhaftig mein
einziger Einwand inmitten leidenschaftlich dankbarer Zustimmung.
Ihr getreu ergebener
Stefan Zweig