Nouvelle Presse Libre8, Rue de MonceauDrTh. Herzl15. Juni 893Lieber Freund!Mein drittes liebes Kind,
ein Mäderl u. es heisst Greterl, ist schon
bald vier Wochen altAm 20. 5. 1893 war die dritte
Tochter Margarethe, später genannt Trude,
zur Welt gekommen.. Meine Frau hat sich fast gänzlich erholt, u. wir denken an die
Reise wenn nur nichts dazwischen kommt. Mein ältestes Mäderl ist seit gestern
krank. Der Arzt sagte uns
gestern Abends dass es vielleicht Masern werden. Heute
meint er, dass es nicht dazu kommen würde. Aber sie fiebert noch stark.
Jedenfalls war die Nacht für uns schlaflos. Meine arme Frau sass auf einem Sessel. Ich hatte mir
meinen Buben ins
Schreibzimmer gelegt, um wenns noch nicht zu spät wäre die Ansteckung zu verhindern.
Der Kerl hat die ganze Nacht
krakehlt, erst als ich ihm Prügel fest versprach, wurde er ruhig und sagte: Nit
weinen, wieder lieb! – Er ist zwei Jahre alt.
Kinder sind immerwährend zugleich Freude u. Angst, u. aus beiden Gründen wird Einem
durch sie das Leben lieb.
Auch in der Politik darf nichts dazwischen kommen, dann reisen wir am
26 ds. mit dem O. E. nach Wien. Ich möchte bevor wir nach Baden gehen einigemal in die Wiener Theater gehen. Ich weiss nicht mehr, wie sich der Lieutenant in den
Backfisch verlieben kann u. umgekehrt. Gesteh’ ichs, ich sehne mich wieder nach der
heimischen ImbecillitätSchwachsinn.
Mit dem Flüchtling ists sonderbar. Mein erster Erfolg in Berlin Die Berlinpremiere von Der
Flüchtling. Lustspiel in einem Aufzug von Theodor Herzl fand zusammen mit einer Aufführung von Die Eine weint, die Andere lacht. Schauspiel in
vier Akten von Philippe Dumanoir
und Ange de Kéraniou am 31. 5. 1893 am Berliner
Theater statt. . Als ich einige Tage später davon hörte, nahm ich
das Buch vor, las es, war über
die saloppe Sprache entsetzt; nur das, was die vornehmen Kritiker rügtenDer Kritiker Ludwig Berthold bemängelte
die Nebenhandlung: »Nebenbei läuft noch eine sehr gleichgiltige Gesellschafterin
und deren vom Schnupfen befallener, immerwährend niesender Liebhaber. Diese grobe
Geschmacklosigkeit [...] wäre im Stande gewesen gewesen, das Interesse [...]
abzuschwächen, wenn nicht Frl. Nuscha
Butze und Herr Ludwig Stahl den
erkälteten Herrn etwas in den Hintergrund gedrängt hätten [...].« (L. B.: Berliner Theaterbericht. In: Die Gesellschaft. Illustrirtes
Wochenblatt, Jg. 7, Nr. 23, 11. 6. 1893,
S. 10), hat mich ergötzt: das Niesen des Eifersüchtigen. Es ist ein
prächtiger Bühneneinfall, denn an der Stelle ist nicht mehr Zeit, auch nur mit einem
Wort zu verhindern, dass die LeuteZuschauer den Streit für ernst halten, u. damit man die Angst der Margarethe, auf die
es ankommt, beobachten könne, muss die ContrahageForderung zum
Duell spassig sein.
Was sagen Sie, mit welcher désinvolturefranzösisch: Ungeniertheit ich
mich lobe? Deutlicher als alles sagt Ihnen dies, dass ich von einem Abgeschiedenen
spreche.
Beurtheilen Sie die Aufführung des Flüchtlings
nicht falsch. Sie braucht sie ebensowenig zu demüthigen, wie die Erfolge der
gewöhnlichen Dutzendscribenten. Verstehen Sie das Leben! Hier die Geschichte des Flüchtlings. 1887 wollte ich eine
italienische Reise machen. Reisegeld gabs
verflucht wenig. Groller (Illustrirte Zeitung) war charmant genug, mir den damals zu sagen, ich solle, wie für die blaue DonauIn der Zeitschrift An der schönen Blauen Donau waren von Herzl im Vorjahr der dramatische Scherz Schlechte Nachrichten und die Novelle Der sechste Welttheil erschienen (Schlechte Nachrichten. Ein dramatischer
Scherz. In: An der schönen blauen
Donau, Jg. 1, H. 2, 1. 2. 1886, S. 50–52 und Der sechste Welttheil. In: An der schönen blauen Donau, Jg. 1, H. 9,
15. 5. 1886, S. 257–259). 1887 wurde dort
sein Einakter Die causa Hirschkorn abgedruckt (Die causa Hirschkorn. Lustspiel in einem
Act. In: An der schönen blauen
Donau, Jg. 2, H. 11, 1. 6. 1887,
S. 254–256.). etwas Dramatisches für ihn schreibenDer Flüchtling. Lustspiel in einem Act.
In: Neue Illustrirte Zeitung, Jg. 15,
Bd. 2, Nr. 36, 5. 6. 1887, S. 567–569 und Nr. 37,
12. 6. 1887, S. 579–582.. Gerade sauste mir der
Ihnen bekannte Einfall dieses Einakters durch den Kopf. Hingesetzt u. hingeschleudert. Ich glaube in drei
Tagen. Ich wollte schon abreisen. Nicht mehr deutlich weiss ich ob ich das Honorar
vorgeschossen bekam. Ich vermuthe es, denn ich reiste ab u. schrieb mich dann bis Neapel durch. (Freilich hat mein guter Vater auch was hergegeben.) Dieser Schmarrn, den ich wie alle
meine Stücke dem Burgtheater einreichte, wurde
ich weiss nicht mehr warum – gewiss aus keinem literarischen Grunde – angenommen
u. lag dann zwei Jahre. Förster wurde
Director. Ich war bei der Allg. Ztg. Ich hatte
in der Redaction einen unangenehmen Collegen, einen boshaften
Narren, der mich molestirte wo er konnte u. mit dem ich nicht einmal auf dem
Grussfuss stand. Dieser schrieb eine
hämische NotizAm 4. 4. 1889 berichtete
die Wiener Allgemeine Zeitung über eine neue
Aufführung des
Schwanks O, diese Schwiegermutter. Die
Hauptrolle, die seit der Premiere am 1. 12. 1888 der Schauspieler Alexander Giradi innegehabt hatte, wurde nun von Heinrich Förster, Sohn des Burgtheaterdirektors
übernommen. In der Kritik
heißt es u. a.: »Sagen wir es rund heraus: Herr Förster hat gestern den Erwartungen
keineswegs entsprochen. [...], man kann sich keinen grelleren Kontrast denken,
als Girardi und Herrn Förster in der Rolle des Henri Duval. [...] Zum
Bonvivant mangeln ihm alle Eigenschaften.
« ([Theater an der Wien]. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 3257,
4. 4. 1889, S. 4.) über FoerstersSohn. Förster glaubte, dass mein »Kamerad« mich Unaufgeführten rächen wollte u. setzte den Flüchtling erschrocken anAm
4. 5. 1889 erlebte Herzls
Lustspiel Der Flüchtling seine Uraufführung am Burgtheater.. Sind das Komödien,
was?
Noch besser die Berliner Geschichte des Flüchtlings. Sie wissen dass ich mit meinem Stück
»Der Bernhardiner« – nicht mein
schlechtestes, was freilich nichts sagen will – am Berliner Theater einen der beschämendsten Durchfälle am »Berliner Theater« erlitt. Es war ein Lustspiel, das Barnay weil er eine Rolle für sich zurecht
schneidern wollte als Schauspiel spielte.Es war eine zu verstohlene Satire auf
die Sentimentalität u. jene Halben, die sich vom qu' en dira-t-onfranzösisch: was man sagen wird, Gerede
der Leute leiten lassen. Alle Absichten wurden ins Gegentheil verkehrt,
u. zw. unter meinen Augen. Ich war schwach genug zu allem Ja zu sagen, aber
hauptsächlich war ich wirthschaftlich schwach. Ich brauchte die Aufführung
Die Theateruraufführung von Was wird man sagen? alias Der Bernhardiner von Theodor Herzl fand am 30. 10. 1890 am Berliner Theater statt..
Barnay wusste wohl, dass ich ihm geschrieben
u. gesagt hatte, dass mein Stück »Was wird man
sagen?« ein Lustspiel sei, u. dass ich es als solches gespielt wünsche. Er
sah auch, wie tapfer u. schweigsam ich den ganzen Misserfolg allein trug, ohne zu
maukezen. Ich hätte aus der Verhunzung meines Stückes immerhin ein Feuilleton herausfetzen können. Ich hatte aber nach der
Niederlage die richtige Haltung während so wie ich sie vorher nicht hatte. Es wäre
geschmacklos u. feig gewesen, die Schuld abzuwälzen.
Aber wenn mich ganz Berlin u. was dahinter steht
– also alle deutschen Theater – für einen unfähigen Idioten tief unter nehmen wir an
Triesch halten mussten, der eine Barnay kannte das Unrecht, das ich ruhig
aushielt. Nun, er lehnte dennoch ein Stück ab, mit dem ich vielleicht
meine Revanche hätte nehmen können, obwol seine Regisseure es zur Aufführung
empfahlen: das unter dem schlechten Titel Prinzen aus
Genielandim Carltheater Die Theateruraufführung von Prinzen aus Genieland.
Lustspiel in 4 Akten fand am 20. 11. 1891 am Carl-Theater statt. von den PossenDarstellern wie ich glaube nicht umgebrachte Künstlerlustspiel.
Barnay gibt jetzt sein Theater auf. Er ordnet offenbar sein HausLudwig Barnay verließ Berlin1894 und gab die Leitung des Berliner
Theaters ab. bevor er wieder auf Reisen geht. Vielleicht findet er,
dass man den Journalisten nicht
unversöhnt herumgehen lassen darf – u. gibt als letzte NovitätSo im Wortlaut im Berliner
Theaterbericht der Zeitschrift Die
Gesellschaft über die Premiere: »Das Berliner Theater
brachte am 31. v. M. als letzte Novität in dieser Saison ein
einactiges Lustspiel ›Der Flüchtling‹ von Theodor Herzl.« (L. B.: Berliner Theaterbericht. In: Die Gesellschaft. Illustrirtes
Wochenblatt, Jg. 7, Nr. 23, 11. 6. 1893,
S. 10). seiner Direction mein Stückchen, ohne mich zu fragen.
Verstehen Sie das Leben, Freund! Ich habe Barnay für die Aufmerksamkeit nicht gedankt. Er ist davon wahrscheinlich
sehr überrascht. Wie überrascht wäre er aber, wenn er wüsste dass ich Alles verziehen
was obschon nicht vergessen hatte. Und dass er er
gerade durch den Fehler, den er begangen, vor dem Stahl meiner Feder immer sicher
war. Diese Leute wissen nicht, dass wir Anderen die Zeitung nie für unsere
Privatangelegenheiten verwenden.
Ja, ich könnte Ihnen viel erzählen, auch von der Lustspielconcurrenz und anderen
Gemeinheiten des Deutschen Volkstheaters in Wien. Ich Es hat lange gedauert, bis die Miserablen des Theaters mich gebrochen haben. Sie hätten
es nie zuwege gebracht, wenn ich mich nicht um sie gekümmert hätte, sondern
geschrieben wie ich wollte, wie mirs zu Muthe und im Sinne war. Und ich sage Ihnen
das, damit Sie aus meinem Falle lernen. Pfeifen Sie auf das Gesindel. Schreiben Sie
nur, wie es Ihnen gefällt. Bei Ihrem Talent ist
es, dann eine innere Nothwendigkeit, dass Sie auch eines nicht fernen Tages den
äusseren Erfolg sehen. Aber werden Sie viel glücklicher sein, wenn man Sie solchen vor die grosse Courtinefranzösisch: Vorhang des Burg oder Lessingtheaters treten lässt? Das ist ein Glück welches täglich so u. so
viele Mätzchenmacher haben.
Auf Wiedersehen in Wien
Ihr Freund
Th HerzlIch brauche Ihnen nicht zu sagen dass alles, was in diesem Briefe steht nur für Sie allein geschrieben ist.