Verehrtester Freund, eine Ahnung muss ich doch
immer gehabt haben, dass wir einander einmal näher
kommen, daß Sie mich sogar »loben« werden; denn es ist merkwürdig, mit welcher
Praecision mir die einzelnen Etappen unsrer kurzathmigen Bekanntschaft im Gedächtnis gebliebensind. Ich weiss noch –
»als ich zum ersten Mal dich sahVers aus einem Lied aus Der
Trompeter von Säckingen von Joseph
Victor von Scheffel, eventuell hier zitiert nach einer der vielen
Vertonungen.« – das war in der akad.
Lesehalle. Sie hielten eine Rede und waren »scharf«
– in einer Weise scharf! Ich befand mich in Ihrer Nähe und hatte die Empfindung als
wenn Sie mich mit einem gewissen milden Sarkasmus
betrachteten; Sie lächelten ironisch – und ich begann Sie
zu beneiden. »Werso reden und so lächeln könnte« dachte ich
mir. Bald darauf hörte ich noch mehr von Ihnen: im Kaffehaus,
das ich viel eifriger besuchte als die politischen Discussions- und Wahlabende der Lesehalle, und wo
Sie eines beträchtlichen Rufes als Dominospieler (hauptsächlich im blinden Domino,
wie ich leider hinzusetzen muß) genossen. Einige Schöngeister sprachen übrigens
bereits von Ihrer Bedeutung als dreiaktiger Lustspieldichter. Wollen Sie einer Beweis
für meine literarhistorische Begabung? Ich weiss noch genau, daß Siegfried Wertheimer der erste war, der mir von dem Dichter Herzl sprach. Bald
darauf lernte ich sie persönlich kennen und las zwei
Ihrer Stücke im Manuscript: Tabarin. und ein zweites – hiess es nicht »die AufgeregtenEs dürfte
sich um die vieraktige Komödie Die Enttäuschten handeln.«?
Und wieder beneidete ich Sie – »wer solche Stücke schreiben könnte« – (damals schrieb
ich nemlich ganz bestimmt schlechtere Stücke
als Sie!–) Aber die ganze Studentenzeit verstrich, ohne dass wir ein Verhältnis zu
einander finden kö onnten, – offenbar wie mir Ihre letzten Zeilen
beweisen – weil ich – für Sie zu arrogant war! –
– In Kammer. habe ich
Sie dann gesprochen, als wir schon beide Doktoren waren; Sie waren von einem Kreis
hübscher junger Frauen umgeben – und wieder habe ich Sie – hoffentlich nicht ganz
ohne Grund – »beneidet«. Und auch damals lächelten Sie ironisch! – Und wieder
verliess ich Sie mit jener gedrückten Stimmung, die man Leuten gegenüber hat, die einem auf
derselben Straße zwanzig Schritte weit vorauslaufen. An diese Erinnerung aber reihtsich eine von denen, die über das persönliche weit hinaus gehend, in einer Geschichte
der modernen Literatur als kleingedruckte Anmerkung einen sichern Platz findetverdiente. Das neue Burgtheaterwar noch im Bau; wie spazierten an einem Spätherbstabende
vor dem Bretterzaun auf u. ab. Natürlich hatten wir uns zufällig getroffen – da es
uns ja bisherbis heute noch nicht gegönnt war, uns je absichtlich zu begegnen. Da sagten Sie, mit
einem bescheiden erobernden Blick, der auf den emporsteigenden Mauern ruhen blieb: da
komm' ich einmal hinein! Ja, mein lieber Freund, damals
wäre der Moment gewesen, mich für Ihr vielfaches ironisches Lächeln einmal pauschaliter mittelst eines grausen Hohnlachens zu
revanchiren – ich blieb jedoch stumm; ich kann es
nicht läugnen, Sie haben mir damals mehr imponirt als je. Sie werden
begreifen, dass ich diese kleine Geschichte, welche ich dievon den Thatsachen zum Rang einer Anekdote emporgehoben
wurde, jedem Menschen erzähle, der den Namen »Theoder Herzl« ausspricht. Sie ist
aber so wahrscheinlich, dass Sie alle Welt für erfunden hält. – Ich erinnere mich
auch eines letzten Zusammentreffens mit Ihnen – auf
irgend einem Ball, in einer Nacht, wie Sieschon lange, aber schon sehr lang ein
berühmter Mann waren, während
ich, an mir, an meinem Beruf – an beiden! – verzweifelnd, von niemand eigentlich
ernst genommen, meinen Ehrgeiz als »guter
Gesellschafter« und demi mondainer(im Bourget’schen Sinn) befriedigen suchte.
Ich war an jenem Abend besonders gut gelaunt und, wie ich glaubte, namenlos elegant.
Da – erschienen Sie. Mit ruhigen überlegenen Augen prüften Sie meine Cravate – und – vernichteten mich. Wissen Sie was Sie sagten –?
»Und ich hielt Sie für einen – BrummelIn einem Tagebuch-Eintrag zum nennt Schnitzler die Aussage als 30 Jahre zurückliegend. Eine
genauere zeitliche Verortung des Ereignisses ist nicht möglich. In einer
autobiografischen Aufzeichnung (Deutsches Literaturarchiv
Marbach, HS.1985.1.198) wird nur das Objekt der Aufregung
näher identifiziert: »eine gerippte weisse
Kravatte
«.!!! –« Ich hatte die deutliche Empfindung in Ungemach
gefallen zusein. Es war klar, dass ich lernen mußte, meine Cravate besser zu knüpfen
oder doch wenigstens auf einem andern Gebiet etwas hervorrragendes zu leisten. In
kühnen Momenten vermass ich mich, beiden Zielen zuzustreben; – vielleicht werde ich Sie auch einmal von meiner
Cravatenknüpfbegabung zu überzeugen Gelegenheit haben? – Und wenn ich nun heute bedenke, daß Sie offenbar darum mit mir
nicht verkehren konnten – weil ich Ihnen dünkelhaften vorkam! Und gar Ihnen gegenüber! Ich, dersich die
causa Hirschkron aus der Leihbibliothek, das Neue von der
Venus von einem guten Bekannten ausgeliehen – und
dersich das »Buch der Narrheit« sogar gekauft
hat – als es einen Tages in einer Auslage um 15 Xr.sichtbar wurde. Ich, der zwar vom
»Flüchtling« behauptete, er könne nur durch
die Burgtheaterbesetzung gehalten werden, der
aber bei dem »Prinzen aus Genieland«
die Ansicht verfocht, dass sie in Carltheater zu
Grund gespielt würde! – Ich weiss nicht, ob es mir mit dem
bisherigen gelungen ist, Ihnen gerade das zu sagen, was ich Ihnen sagen will: dass es
wahrhaftig nicht viel Menschen auf der Welt gibt, auf deren Urtheil ich den gleichen
Werth legen möchte wie auf das Ihre. Ermessen Sie daraus, wie sehr mich Ihre
freundliche Anerkennung gefreut, und wie wohlthuend mich
besonders der warme und reiche Ton berührt hat, mit welchem
Sie zu mir sprechen. Dass ich Ihnen aber auch persönlich sympathisch geworden bin,
kann ich unmöglich der Bekanntschaft mit meinem Stück allein zuschreiben: da
hat gewiss mein Freund Paul, der beste und
liebeswürdigste der Menschen, das seinige dazugethan. Ich sage Ihnen für heute Adieu,
verehrter Freund, und bitte Sie, meiner herzlichen
Ergebenheit für alle Zeit versichert zu sein.
Ihr Arthur SchnitzlerWien5. August 92.