AS18. 2. 95Lieber Freund! Das telegramm haben Sie ja. Ich bekam von Schick einen kurzen Brief: »Gestern ist das StückDr. Schnabels per unfrank. Post bei mir eingetroffen: wegen
Ueberhäufung konnte es von Blumenthal gar nicht gelesen werden. Was soll nun geschehen?« – Ich habe mir bei Schick sofort den Brief Bl.s. erbeten, den Sie dann gleich erhalten, aber zu weitern Entschließungen
brauchen wir ihn ja nicht. Keinesfalls haben Sie einen Grund verstimmt zu sein –
Höchstens über einen menschlichen Irrthum; – es ist Ihnen schon wieder einmal
passirt, einen Theaterdirector für ein literarisches Individuum zu halten. Warumsag
ich: literarische verläßliches, nein, – anständiges. – Die
Idee der Pseudonymität war offenbar nicht einmalso gut –
als ich geglaubt habe; – und Sie wissen,sehr viel hab
ich mir davon nicht versprochen. Ich finde, Sie überschätzen die Neue Presse und die unterschätzen sich. Ich begreife es
wirklich nicht, dass man aus einem Namen, aus einer Stellung, die man sich doch durch
nichts anderes erworben hat als durch den Werth seiner Leistungen, nicht wenigstens
den Vortheil ziehen sollte, sich in einer diesem Namen u. dieser Stellung
entsprechenden Weise von jedermann empfangen zu lassen.
Ihnen, der nicht nur eine absolut erste Stellung als Meister des deutschen
Feuilletons im höchsten Sinn (mit dem Heimath-Feuilleton war ich übrigens
nicht ganz einverstanden) einnimmt, sondern der auch mit einer Anzahl von Stücken
erfolgreich aufgetreten, der mit zweien sogar im ständigen deutschen Repertoire der ersten Bühne steht – Ihnen wird kein
vernünftiger Mensch nachsagen, dass Sie eine eventuelle Aufführung eines neuen
Stückes Ihrer Stellung als Correspondent der N. Fr. Pr.
verdanken. Es ist ja geradezu zu komisch. Da wenn die Pseudonymität nichts andres bedeuten würde als ein Reiz mehr
für Ihre Existenz, als ein spiel oder ein Spass – dann wär es ja gut; aber die
Pseudonymität ist ein Hinderniss, das Sie sich selbst in den Wegstellen, viel größer
als Sie offenbar geahnt haben. An Ihrer Kraft zweifle ich nicht, Sie wissen es – aber
Sie sehen, es gibt Hindernisse, die einfach nicht zu nehmen sind. Was thut man
beispielsweise in einem Fall wie in dem unsern? Herr Blumenthal sagt: Ich habe keine Zeit, Ihr Stück zu lesen, – da stehen Sie mir! Seien Sie überzeugt, dass Herr Blumenthal Zeit gehabt hätte, das
Stück des Theodor Herzl zu lesen. – Wollen Sie trotz aller bisherigen Erfahrungen die
Pseud.comödie weiter agiren – dass ich Ihnen stets zur
Verfügungstehe, braucht keiner weiteren Versicherung. Aber meine Ansicht kennen Sie.
Die Ideen, die Sie fürs Raimundth. haben, deuten mir
allerdings darauf hin, dass Sie sich dem Director selbst gegenüber zu neuen geneigt
wären. Dagegen ist nun natürlich gar nichts einzuwenden. Warum aber wollen Sie nicht
beim Dtsch. Volkstheater zuerst einen Versuch machen? So
viel man gegen diese Bühne – und mit wievielem Rechte man
es vorbringen mag – ich ließe mich noch immer lieber im Volkstheater als im Raimundtheater aufführen.
Mein persönliches Verhältnis zu Herrn Müller Gutenbrunn ist das: dass ich (das weiss ich bestimmt) einen tiefen Ekel vor ihm empfinde;
dass er mich (das ahne ich) nicht ausstehen kann – und dass wir uns höflich grüßen,
wenn wir uns irgendwo sehen. Mit dem Volkstheatersteh ich
jetzt gar nicht; man hat sich rechtschäbig gegen mich benommen und ich halte Herrn Bukovics für einen
Cretin, Herr Müller für einen Gauner und Herrn Geiringer für einen Börsianer. Auf die zwei ersteren
kann ich die Hostie nehmen.– Ich stehe also weder mit der einen noch mit der andere
Directionso, dass ich mit der Aussicht auf irgend welchen Erfolg die Vertretung
eines pseudonymen Autors übernehmen könnte. Doch ist es selbstverständlich dass ich,
Arthur Schnitzler jederzeit für meinen in Paris weilenden Freund Dr Theodor Herzl interveniren kann. Wollen Sie also
meinen kurzen und klaren Rath? Lassen Sie Ihr Stück ohne weitern Aufschub unter Ihrem wahren Namen (etwa
durch Schick, der das Mscpt jetzt in Händen hat) an das Dtsch. Volkstheatersenden. Haben Sie aber eine Vorliebe fürs Raimundtheater, so senden Sie es dorthin. Persönlich kann ich leichter mit Müller-Gutenbrunn in Angelegenheit Ihres Stücks
verkehren als mit Bukovics, der aller Wahrscheinlichkeit nach (wegen der Burg) sich verpflichtet fühlen wird, mir nicht
angenehm sein zu wollen. – Sehr gut kenn ich auch den Regisseur des Rmdthts, Herrn Langkammer, der, wie mir vorkommt auch mancherlei dreinzureden hat und nebstbei ein sehr
gescheidter Theatermensch ist. Verfügen Sie über mich, mein lieber Freund, ganz nach
Belieben;– und gerathen Sie um Himmelswillen nicht in eine kleinmütige Stimmung –
weil Sie wieder einmal die Erfahrung gemacht haben, dass in
den Theaterkanzleien ebenso selten große Geister als liebenswürdige Menschen sitzen –
wenigstens gegen »Unbekannte«. Aber Sie sind wirklich wie ein Mensch, der durch
eigene Kraft ein Vermögen erworben und plötzlich die Marotte hat, von den paar
Kreuzern zu leben, mit denen er begann. Sie haben ein Recht dazu, auch einmal Coupons
abzuschneiden! –
– Mein Stück ist jetzt auch am deutschen Theater in Berlin angenommen:
ich habe mich nicht gescheut, Herrn Brahm die
Mittheilung zu machen, dass es an der Burg
aufgeführt wird: es ist wohl nicht unwahrscheinlich, dass dieser Umstand die Annahme
beschleunigt hat. Und doch halte ich mich nicht für einen Streber und doch habe ich
die Empfindung, dass in letzter Linie ein event. Erfolg doch nur dem
Umstand zu danken sein wird, dass ich ein nicht mislungenes
Stück geschrieben habe.
Seien Sie nicht weniger eitel als ich – oder, sollt ich nicht sagen –seien Sie nicht
eitler–?– Ich schreibe Ihnen gleich wieder, wie ich von Schick den Brief habe. Seien Sie vielmals herzlich gegrüßt u. überzeugt dass Sie von
der »guten Freundschaft« nach der Sie sich sehnen – bei mir finden sollen, was ich zu
geben vermag.
Ihr ergebner
Arth