Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
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LEOPOLD MOZART AN LORENZ HAGENAUER IN SALZBURG DEN HAAG, 19. SEPTEMBER 1765
___________________33 ______________________________\hfill Haag den 19.t Sept: _____________________________________________________\hfill 1765. Monsieur! Sie erhalten hier ein Schreiben aus dem Haag; nicht aber aus dem Haag beÿ München, noch aus dem Haag so beÿ Lambach in Oesterreich liegt. nein! sondern aus dem Haag in Holland. Das wird ihnen freÿlich sehr wunderlich vorkommen, um so mehr, als sie uns vielleicht nicht so ferne, son=deren ihnen bereits näher zu seÿn, et=wa, wo nicht geglaubet, doch gewunschen haben. Wir würden auch, zwar noch nicht nahe, doch bereits wieder aus Hol=land weg seÿn, wenn uns nicht eine Unbässlichkeit, die erstens meinen Wolf=gäng: und dann mich selbst in Lille über= fallen 4. Wochen zurück gehalten hätte. Sie sollen nun aber gleich alles wissen, was für ein Zufahl uns nach Holland gebracht: da ich niemals nach Hol=land, wohl aber nach Maÿland und über Venedig nach Hauszugehen beschlossen hat=te. Der Holländische Gesandte in London lag uns vielmahls an nach dem Haag zu dem Prinz von Orani=en zu gehen. Allein ich ließ es beÿ einem Ohre hinein, beÿ dem anderen wieder hinaus passieren. Wir schickten uns zur Abreiße, und ich dachte so wenig nach Holland zu gehen, daß ich alle unsere BelzePelze nebst anderen Sachen in einen Coffre nach Paris schickte. Al=lein, da wir würcklich abgereißet wa=ren und wircklich den 24. Julij aus London abgefahren, so blieben wir ei=nen Tag in Canterburg und bis zu Ende des Monats auf einem Landgut eines Englischen Cavalliers um das Pferd=lauffen zu sehen. Der Holländische Gesandte fuhr den nämlichen Tag un=serer Abreise in unser Quartier, und erfuhr, daß wir nach Canterbury zum Pferd rennen abgegangen und so dann Engelland verlassen werden. Stracks war er beÿ uns, und bath mich um al=les nach dem Haag zu gehen, indem die Prinzessin von Weilburg die Schwe=ster des Prinzen von Oranien eine so ausserordentliche Begirde hätte, dieses Kind zu sehen von dem sie so gar vieles gehört und gelesen. _____Kurz! er und alle sagten mir so vieles, und die Proposition war so gut, daß ich mich um so eher entschlüssen muste, als sie wissen, daß man einer Schwangeren Frauen nichts abschlagen solle. NB: Der Herr Gesandte war nicht, Schwanger, aber die Prinzessin. Ich verließ demnach den 1.t august Engel=land und wir fuhren nach 10. Uhr mor=gens von Dover ab, hatten das schönste Wetter, und so guten Wind, daß wir in 3 12 Stund in Calais im Port ans Land stiegen, und mit gesunden Ma=gen unser Mittag mahl einbrachten, weil wir gar nicht beÿ der Überfahrt krank waren. Nun war unser Antrag den Monat August in Holland zuzu=bringen, gegen dem Ende des Septemb: in Paris einzutreffen, und dan nach und nach so fort zu rücken, bis wir gleichwohl den Untersperg ins Gesicht bekommen. In Calais war die Duchesse de Mont=morancÿmorencÿ und der Prince de Croÿ un=sere Bekanntschaft; und ich gieng von da nach DünkürchenDünkirchen, welchen Platz ich wegen dem Port und wegen dem ewigen streitten zwischen Engelland und Franck=______________________________________________reich reich in betreff der demolition der Vestungswerker sehen wollte. Der Platz ist sehr schön, die Gassen sind mei=stens gross und die meisten Häuser sauber. Eine hüpschehübsche Börse, starcke Handelschaft, und leÿder, die schönsten Vestungswercker bereits niedergerissen. Ich sachesage: leÿder! weil es schmerzet so schöne Werker, die so viel Geld gekostet demo=lieren zu sehen. Beÿ allem dem, wa=ren die Engelländer noch nicht zu frie=den, und man beschwerte sich in Engel=land immer, daß man die Wercker nicht alle demoliert hätte, so wie es in den FriedensPuncten wäre ausgemacht worden. Es würde demnach eine Com=ission beliebt, wo der Duc de choiselchoiseul von Franckreich und der Duc de Bedfort in DünkürchenDünkirchen zu sammen kommen, und die sache untersuchen solten. Wir fuhren nach Lille, dahin uns der Cheval=lierChevalier  de MezzierMezier Commendant in DunkürchenDunkirchen zu gehen beredete. Wir fanden auch da eine schöne wohlgebaute Statt, sehr bevöllkeret, mit zimlichen Co=mercio versehen, und wir sahen beÿ Ge=legenheit der durchreise des Duc de ChoiselChoiseul 5. Regimenter im Fluer exerci=ren und die schönsten KriegsÜbungen ma=chen. Ich habe als etwas besonderes anzumercken, daß nun auch die Herrn Franzosen besser excercieren, als sie vormahls gethann: allein den 2. teut=schen Regimentern, den Schweitzern und Nassau kammen sie nicht beÿ. Übri=gens war die tägliche Parade eine der schönsten die ich noch gesehen. Nun komt wieder eine Probe, daß unser menschliches Vornehmen ein pures nichts ist. In Lille überfülle den Wolfgang: ein sehr starcker Catharr, und da dieser noch ein paar – Wochen etwas besser wurde, kam die Rheihe an mich; ich wurde von einem Schwindel befallen, der ganz be= sonder war. Wenn ich ausgestreckt im Bette lag, so war es gut um mich; so bald ich mich aufrecht hielt, so gieng alles unter und über: und ich konnte nicht 3 Schritte alleine über die Stube gehen; so, daß wenn ich es zwingen wollte aufrecht zu bleiben, so muste ich mich erbrechen. Da ich nun nicht wuste, ob es vom Kopfe oder vom Magen her=rührte, so laxierte ich, nahm dan Fuß=waser &c. und mit einem Worte wehr=te mich gegen 2. Feinde zu gleich: Allein dieß Schulgschlug uns um 4. Wochen zurück; und ich verließ halb gesund und halb krank Lille und kamm noch nicht viel besser nach Gent, wo wir nur einen Tag blieben. Gent ist ein grosser aber nicht vollkreicher Ort. Der Wolfg: spielte nachmittags auf der grossen neuen Orgel beÿ den P: P: Bernardinern p In Antwerpen blieben wir 2. Täge, wegen dem Sontage. Der Wolfgang: spielt in der CathetralCathedral Kirche auf der grossen Orgel. NB: man findet in Flandern und Braband durchaus gute Orgelwerke. Hauptsäch=lich aber wäre hier vieles von den aus= erlesnsten Mahlereÿen zu sprechen. Ant=werpen ist sonderlich der Ort dazu. Wir sind alle Kirchen abgelaufen. Ich habe niemals mehr Schwarz und weisen Mar=mor und ein überfluß von trefflichen Mahlereÿen, sonderlich von Rubens ge=sehen, als hier, und in Brüssel. vor allem ist die Abnehmung Christi vom Kreuz in der grossen Kirche in Antwerpen ein Stück von Rubens, so alle Einbildung übertrifft: In Antwerpen ließ ich mei=nen Wagen, und nahm einen Wagen vom Postmeister bis nach MordickMordyck. da fuhren wir über einen kleinen Arm von Meer, und auf der anderen SeÿteSeite sind schon Kutschen bereitet bis Rotterdam, wo man dann in ein klein Schiff sitzet, _____________________________________und und bis respectivèrespective an das wirtshauß geführt wird. Daß war nun eine schöne Tagreise von Antwerpen bis Rotterdam: nämlich von halbe 7. Uhr morgens bis 8. Uhr abends. In Rot=terdam waren wir nur einen halben Tag, indem wir nachmittags auf ei=nem Trek Schuÿt nach dem Haag ab=fuhren und um 7. Uhr schon da waren. Nun muß ich ihnen bekennen, daß es mir sehr Leÿd wäre, wenn ich Holland nicht gesehen hätte: dann in allen Stätten von Europa, was ich gesehen hatte, siehet doch das meiste einander gleich. Allein so wohl die Holländischen Dörffer, als die Holländischen Stätte sind von allen anderen Stätten Europens gänz=lich unterschieden. Es würde zu lange seÿn solche zu beschreiben, genug, daß ihre Reinlichkeit |: die vielen von uns als zu übertrieben scheinet :| mir sehr wohl gefällt, und ich will nur anmerken, daß ich die Statue des berühmten Erasmi RotterdamiRotterodami in Rotterdam auf dem Platze mit Vergnügen betrachtet habe. Im Haag sind wir nun 8. Täge, wir waren 2. mahl beÿ der Prinzesin und 1. mahl beÿ dem Prinz von Oranien, der uns mit seiner Equi=page abholen und nach Hauße führen lassen: Allein meine Tochter ware nicht mit uns; denn nun kam die Reihe an Sie, und sie hat einen sehr starken Brust Cartharr, der nun an=fangt loos zu werden. So bald sie besser ist, müssen wir wieder zum Prinz von Oranien und zu der Prinzessin von Weilburg und dem Herzog von Wolfen=büttl:Wolfenbüttel: – – die Reise ist bezahlt; – – wer nun aber die Ruckreise bezahlen wird, muß ich erst sehen. dann meine Gelder in Amsterdam möchte ich gerne unberühret lassen. – – Aus dem ganzen Hergang der Sache werden sie nun sehen, daß ihre 2. Briefe von Mr: Joseph und ihnen nach unserer Abreiße erst nach London gekommen sind. ihren 3.t Brief |: ohne dato :| erhielt ich in Lille, dahin ihm Mr: Carpentier mir nachsande. da sie mir in demselben von 2. anderen Briefen Meldung machten, argwohnte ich gleich, daß Mr Tessier solche wird nach Amsterdam geschickt haben. So bald ich ins Haag kam schrieb ich an meinen Banquier in Amster=dam und erhielt beÿde Briefe samt ei=nem Schreiben von Mr Tessier den Tag darauf. Was in einem Zeitungsblat mir communicieret worden, ist die Wahr=heit. Dem Herrn Joseph dancke für seine höfliche Zuschrift und erfreue mich über seine glückliche Zurückkonft. Bitte an alle gute Freunde 1000. comp: zurück. – – daß mein Brief eröf=net und wieder zugeschlossen in ihre Hän=de gekommen, ist mir verwunderlich ge=nug. Ich habe ihn in London selbst auf die Post gegeben: in London ist es einmahl nicht geschechen. – – das noth=wendigste nun, was ich ihnen zu sagen habe ist, daß ich durch Mr Teissier eine sehr grosse Küste oder Verschlag über Hamburg an sie habe abgehen lassen. Sig: L. M. Wenn sie nun Anlangen wird |: wenn sie noch nicht angelanget ist :| das weis ich nicht. Mr: Tessier giebt mir Nachricht, daß solches auf dem Schiff Wilhelmus mit Capitain Adrian Janssen nach Hamburg abgegangen. Es wäre mir lieber er hätte mir geschrieben an wem er es in Hamburg addressiret hat. Es sind Sachen von allen Gattungen darinne, lassen sie solche nur uneröf=net bis zu unserer Ankunft, und sehen sie gleichwohl, daß es an kein gar zu feuchtes Ort kommt; Obwohl, was von polirten Stahl darinne ist, ist gut ein=gemacht. – – Nun ist auch nothwendig, ___________________________________________________daß daß sie mir einen guten Schreib Com=mot Kasten kauffen. Ich verstehe, wie der ihrige, mit guten grossen Schubla=den. Kurz! einen schönen und guten Kasten: wenn er auch Theuer ist; wo werde ich sonst allen den Plunder hin=bringen? – – Nach Erhaltung dieses Briefes bitte mir nach Amsterdam zu antworten und beÿzusetzen. Chez Mrs Jean NéelNeel et Fils à Amsterdam. Bin ich nicht mehr da, so wird er mir den Brief nachsenden. Das Wort NéelNeel ist oben zusammen geflossen. desswegen setze es wieder her. ich em=pfehle mich ihnen und ganz Salzburg und bin der alte. P: S: Meine Frau lässt sie bitten 6. heilige Messen lesen zu lassen. nämlich, 3. beÿ den heiligen Johann von Nepomuck in der Pfarr. dann 1. zu Maria Plain. 1. zu Loreto beÿm heil: Kindl, und 1. zu Ehren der heiligen Walburgis, wo sie solche wollen lesen lassen. _____Den Todt des Kaÿsers haben wir in Lille den 26.t august erfahren. Ehe wir aus London sind habe ich in der Zei=tung gelesen, daß der general Platz ge= storben seÿe. ich finde aber in der Lista des Herrn Johannes nichts davon. _____Ferner sagt Herr Novellista Joannes am 2.t Capitl, daß Herr Franz Gschwend= ner, Herr Joseph Hagenauer &c. aus Italien angekommen. allein er thut keine Meldung von der Mads:me Fese=maÿrin. ist sie noch in venedig? – – – tanto meglio! – – Machen Sie doch Herrn HofRath Gilows=kÿ von uns allen das schönste Compli= ment und unseren Glückwunsch. Es wird uns unendlich vergnügen ihn wie=der wohl zu sehen. Es ist sehr gut, daß wir noch nicht nahe an Salzburg sind, weil es so viel Diebs=Gesindl im Land giebt, machen Sie nur daß es sicher wird, sonst bleiben wir noch länger aussen. – Und wie stehet es mit dem neuen Thor? – – ich dachte immer beÿ dem neuen Thor einzufahren. _____Warum hat doch Herr Estlinger nicht gewartet bis wir angekommen, um auf seiner Hochzeit danzen zu können? – – wir gratuliren ihm. Alte lieb rostet nicht! Er hatte seine alte Bass-Geige auch immer noch in Ehren, obwohl er eine neuere hatte. Ò wie oft hat er sie ge=flicket! – – – – Wenn mein alter ehrlicher Raißwagen mich glück nach Hause bringt, dann hat er auch daß seinige ge=than. Es macht ein bischen nachdencken, wenn ich auf unsre Reise gedencke. ma foi, Es ist ein zimmlicher spaziergang.