Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart
Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family
Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
Salzburg
Austria
The Packard Humanities Institute
Los Altos
California, USA
Morgenstern
Anja
text encoding, text editing
Kelnreiter
Franz
technical supervisor, data modelling
Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
Wissenschaftliche Abteilung. Digitale Mozart-Edition
Ulrich Leisinger
Digitale Mozart-Edition
[https://dme.mozarteum.at]
2020-02
CC BY-NC-SA 4.0
https://dme.mozarteum.at/DME/briefe/letter.php?mid=667
Verbleib unbekannt (Vorlage: Abschrift um 1768 in D-B)
last file update: Wed May 11 14:48:05 2022
LEOPOLD MOZART AN LORENZ HAGENAUER IN SALZBURG
PARIS, 16. MAI 1766
________________________36
_________________________________\hfill \hfill Paris 16. Maij 1766.
_____Monsieur!
_____Sie werden sich unfehlbar ganz erstaun=lich verwunderen, daß sie so lange Zeit
von mir keinen Brief erhalten haben. Ich
wurde sie auch nicht ohne einige Nachricht
von unsern Umständen gelassen haben;
Wenn ich nicht versichert wäre, daß sie
nun wenigst zweÿmahl durch herrn Kulman
aus Amsterdam von uns Nachricht wer=den erhalten haben. Daß ich ihnen und
meinen Freunden keine so genaue Beschrei=bung von Holland bisher gemacht habe, als
ich sonst von Franckreich und Engelland
zu thun gewohnet war, war die Kranckheit
meiner Kinder die einzige Ursache. Wir
sind von Amsterdam zu dem Fest des Prin=zen von Oranien |: so den 11.t Merz war,
und einige Zeit dauerte :| wieder nach dem
Haag gegangen; wo man unsern kleinen
Compositeur ersuchte 6. Sonaten für das
Clavier mit dem Accompagnement einer
Violin für die Schwester des Prinzen, näm=lich für die Princesse von Nassau Weil=burg zu verfertigen, die auch gleich gra=viert worden. Über diess muste er
zum Concert des Prinzen etwas machen,
auch für die Princesse arien componiren&c.
Welches beÿ unserer Ankunft alles wird
zum Vorscheine kommen. Den Herrn Kul=man habe gebetten eine kleine Küste an sie
nach Salzburg zu schicken. So bald selbe
ankommt, bitte solche zu eröffnen, und al=da das kleine breitte Paquet zu suchen,
darauf Musica stehet, welches nicht ver=siegelt ist. Darinne werden sie 2.
Exemplarien von den im Haag gravirten
Sonaten finden; davon nehmen sie eine
sammt der dazu gehörigen Violin Stim=me, und lassen sowohl den Clavier Theil,
als den Violin theil besonders einbinden,
und alsdann S:r Hochfürstlichen Gnaden p p
in unserem Nahmen unterhänigst presen=
tieren. Es sind noch zweÿerleÿ Varia=tionen auch in dem nämlichen Paquet,
die der Wolfgang: über eine Arie |: die
zur Majorennitet und Installation des
Prinzen gemacht worden :| hat verferti=gen müssen: und die er über eine an=dere Melodie, die in Holland durch aus
von jedermann gesungen, geblasen und
gepfiffen wird, in der Geschwindigkeit
hingeschrieben. – – Es sind Kleinigkei=ten! Wollen sie von ieden ein Stück beÿ=legen; so mag es der Seltenheit willen
geschehen. Ich werde die Ehre haben ih=nen meine Violin Schule in Holländischer
Sprache vorzulegen. Dieß Buch haben
die H: H: Holländer in dem nämlichen
format in meinem Angesicht in das Hol=ländische übersetzt dem Printzen dedicirt
und zu seinen Installations-Fest presen=tirt. Die Edition ist ungemein schön,
und noch schöner als meine eigene. Der
Verleger |: der Buchdrucker in harlem :|
kamm mit einer Ehrfurchtsvollen Mine
zu mir und überreichte mir das Buch
in Begleitung des Organisten, der un=seren Wolfgang: einlude auf der so
berühmten grossen Orgel in Harlem zu
spillen, welches auch den Morgen dar=auf von 10. bis 11. Uhr geschache.
Es ist ein trefflich schönes Werck von 68.
Register. NB: alles zünn, dann holz
dauert nicht in diesen feuchten Land.
Es würde zu weitläufig seÿn unsere Rei=se aus Holland über Amsterdam, Ut=recht, Rotterdam, über die Maas, dann
über einen Arm von Meer beÿ der Mor=dyck, nach Antwerpen zu beschreiben.
Noch unmöglicher wäre den ietzigen be=trübten Stand der ehemals grösten Han=delsStatt Antwerpen zu beschreiben, und
die Ursachen davon anzuführen; Wir
werden seiner Zeit mündlich davon spre=chen. Wir giengen über MehelnMecheln, wo
wir unsern alten bekannten den dasigen
____________________________________________Tit:
Tit. Herrn Erzbischofen besuchten, nach
Brüssel: wo wir nur einen Tag ausruhe=ten und von da um 9. Uhr Morgens mit
der Post abgiengen, und um halb 8. Uhr Abends
in Valenciennes anlangten. In Brussel
nahmen wir für unsere Nothwendigkeit et=was von Spitzen, und in ValencienesValenciennes zu
unserm Gebrauch etwas Battist oder Camb=raÿ Leinwandt mit, nämlich ein Stuck gla=ten und ein Stuck geblumten. In Valen=cienes habe das künstliche Uhrwerck am
Rathhause besehen, und in Cambraÿ das
Grabmahl des grossen Fénelons, und
seine marmorne Brustbild-Säule be=trachtet, der sich durch seinen Telemach,
durch das Buch von der Erziechung
der Töchter, durch seine Gespräche der
Todten, seine Fabeln und andere Geist=liche und weltliche Schriften unsterblich
gemacht hat. Dann sind wir ohne
Aufenthalt nach Paris fortgerückt, wo
wir das von unserm Freunde Mr GriimGrimm
für uns bestellte Quartier bezohen haben.
Wie wir logiert sind, und was es kostet,
erspare mündlich zu sagen. – – –
Ich bitte sie nach Empfang dieses Schreiben
mir gleich zu antworten. damit ich ihr
Schreiben noch vor meiner Abreise er=halte. Sie belieben nur beÿ zu setzen.
À Mr: Mozart, chez Mr: Grimm
Secretaire des commandements dude
Msgr
le Duc d'Orleans Rue neuve Luxembourg.
________________________________à
________________________________________________Paris.
_____Wir haben, Gott lob, unsere Bagage
hier in gutem Stande gefunden; und da
wir nun wieder hier schwarz gekleidet geh=en müssen; so sieht man, um wie viel
meine Kinder gewachsen sind. Wir be=finden uns Gott seÿ unendlichen Danck
gesagt, alle wohl, und empfehlen uns ih=nen dero Frauen liebsten und samtlich
angehörigen und guten Freunden von
Herzen. Vom ersten Anblicke wird
der Wolfgangerl wohl niemand mehr in
Salzburg können; es ist eine schöne Zeit, daß
wir abwesend sind, und unterdessen hat er
viel 1000. Menschen gesehen und kennen ge=lernet. Von hier aus werde einen gros=sen Coffre, dann einen etwas kleineren
und glaublich noch eine kleine Küste absen=den. Das ist auch nebst meinem Ver=richtungen noch eine Plage, diese Sachen
alle in Ordnung zu bringen; das kann
niemand wissen, der es nicht erfahren
hat. Wir führen über all dieses
noch unsern grossen Coffre, noch einen
kleinen, dann ein grossen Mantlsack,
und 2. Sitztrüchel nebst dem Magazinn
voll mit Bagage mit. Wir sind einen
Tag nach der Enthauptung des Mr de
Lallÿ, ehemaligen Vice RéRoi in Pondicherÿ,
hier angelangt; sie werden die ganze
Sache wohl bereits in den Zeitungen ge=lesen haben. Mein liebster Herr Ha=genauer! wir haben einen Salzburger
in Amsterdam angetroffen, welcher we=gen gewissen Umständen calvinisch
geworden. Ich wünschte nichts mehr=
ers, als ihn wieder auf einen bessern weg
zu bringen. Ich gab mir alle Mühe.
Das zog mich wieder nach Amsterdam.
das hielt mich länger in Holland auf.
Und vielleicht hätte ich meinen Zweck er=reichet; stünde nicht eine einzige Sache im
weg. Dencken sie nur nicht nach; sie
können ihn nicht errathen; obwohl sie ihn
seiner Zeit gekennt haben, und alle seine
Verwandten noch kennen. Es ist eine zu
lange Zeit! ich nenne ihn nicht, so lange
mir ein Funken einiger Hofnung übrig
bleibt. Grosser Gott! mit was für ei=ner Verwirrung verließ er uns! das
bitterste weinen verhinderte ihn zu sprechen.
Wie viel unruhige und Gedancken volle
Stunden verursachte mir nicht dieser
Mensch! Dieß sind die Früchten, wenn
man die Jugend zu der Erwählung eines
Standes beredet, die wieder ihren Beruff
sind. Betrübte Folgen! – – ich bin durch
_______________________________________________so
so viele Beÿspiele die ich auf meinen
Reisen erfahren in meiner iederzeit ge=fasten Meinung bestättiget worden,
daß es sehr übl, ja recht Seelenverkäuf=ferisch gehandlet ist, junge leute vor
ihren 25.t Jahre zur ablegung eines Or=densgelübt zu lassen. Sollte das höch=ste Kirchen Oberhaupt und alle Prälaten
der Kirche |: ich verstehe nicht die Präla=ten der Klöster :| Engelland, Holland,
und die Schweitz &c: durchwanderen und
umständlich von allem benachrichtiget
seÿn, so würden sie keinen Tag ver=saumen die Ablegung der klösterlichen
Ordens Gelübdte auf das 25.te Jahr hin=auszusetzen. Engelland, und sonderlich
Holland wimmelt von solchen unglücklichen
Menschen, ich werde ihnen eine Menge
an den Fingern herzehlen: und Sie darf=fen nicht glauben, daß es eben alle lie=derliche Pursche sind. Ò ich kenne viele,
die im ledigen Stande sind; die gar
die Religion nicht verändert haben, und
die überhaupts eine höchst auferbauliche
Lebensart führen. Es ist unmöglich
die Sache so zu schreiben, wie sie ist. ich
muß es auf unsere mündliche Unter=redung ersparen: mir blüttet das Herz,
so oft ich auf dergleichen Sachen dencke.
Warum denn nicht auf das 25.te Jahr
setzen? weil vielleicht mancher reicher
Candidat oder manches gutes Subiectum
entzwischen seinen Beruff besser untersuchen
und erkennen, der aine mit seinem Geld
und der andere mit seinem geschickten Kopf,
so dann nicht einem todten Cörper, son=dern einem lebenden allgemeinen Staat
nützen, und seinem Beruff besser nach=kommen würde. Nehmen sie mir
mein Eÿfer nicht übl:; Ich liebe die
Menschen und ihre Ruhe: und mein Herz
ist beklemmet, wenn ich einen Menschen sehe,
der auf seine ganze Lebenszeit soll elend
und geplagt seÿn, und noch überdaß eine
unglückselige Ewigkeit zu erwarten hat.
Sprechen wir von etwas anders!
_____Hat herr Otto in Franckfurt durch
herrn Wallner niemals etwas bezahlet?
ich muß nun alles nach und nach einzu=treiben suchen, von Franckfurt, von
Nürnberg, von Augspurg, London, Paris p
damit ich alles in Ordnung bekomme.
à propos! hat Herr Gevatter P: das halbe
dutzet silberne Messer, Löffel und gabl
nicht auch unterdessen etwa schon einge=schicket. Nein! Nein! allein er wird
es nun wohl in bereitschaft haben, uns beÿ
unserer Ankunft damit zu compli=mentiren: Er kann nicht anders, als
sehr gerühret seÿn, solche Kinder zur hei=ligen Tauf gehalten zu haben, die so
viel aufsehen in der Welt machen. Ich
habe verschiedene Sachen für unsern gebrauch
eingekauft, allein wegen des obbemelten,
habe mich auf das versprechen des Herrn
Gevatter verlassen. Machen sie ihm
unser Compliment! Sie sind ganz ver=wundert über diesen meinem Caracteur
sonst ganz und gar nicht ähnlichen Vortrag!
nicht wahr? Allein, dencken sie doch:
ich komme Schnurgerad aus Holland! Man
nimmt von jedem Lande etwas mit:
und in Holland lernet man nichts bessers,
als eigennützig zu seÿn. Nun möchten
sie wohl auch gerne wissen, wenn wir in
Salzburg einzutreffen gedencken? Wenn
es nach unserer Meinung gegangen wäre,
so wären wir längst zu Hause; und
da wir nun in Paris sind, so scheinet es
uns nach der proportion unsrer vorigen
Reisen, als wären wir schon halb zu hau=se. Daß wir hier eine kurze zeit
verbleiben ist richtig; und desswegen bit=te mir bald zu schreiben, damit mich der
Brief noch hier antrifft. Sollte ich aber
in allem falle schon weg seÿn, so wird
unser Freund Mr: Grimm mir den
Brief schon zusenden. daß wir nun
aber nicht gerade zu aufsitzen, und schnur
___________________________________________gerade
gerade nach Salzburg fahren können,
ist leicht zu begreiffen. Es würde
meinen Kindern, und meinem GeldBeu=tel zu beschwerlich fallen. Es wird
mancher noch etwas zu dieser Reise be=zahlen, der ietzt noch nichts davon weis.
Genug! wir werden thun was möglich
ist, um bald nach hause zu kommen. Le=gen sie uns entzwischen S:r Hochfürstlichen
Gnaden zu Füssen p p empfehlen sie uns
unsern Freunden, und sind sie versicheret,
daß wir dem Augenblicke mit Unge=
dult entgegen sehen, ihnen mündlich zu
sagen, das ich unabänderlich bin.
_____In Eÿll sage ihnen, daß Herr Kulmann
ein Mann ist der wohl stehet; das übrige
mündlich.
_____Wir wollen halt sehen, wie es in Salz=burg für uns ausfallen wird.
_____Wenn wir näher kommen, werde et=was mehrers berichten.