Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
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CHRISTIAN FÜRCHTEGOTT GELLERT AN LEOPOLD MOZART IN SALZBURG LEIPZIG, APRIL 1754
_____Hochedler, Hochzuehrender Herr, ich müßte sehr unempfindlich seÿn, wenn mich die ausser-ordentliche Gewogenheit, mit der Sie mich ehren, nicht hätte rühren sollen; u. ich würde der undankbarste Mann seyn, wenn ich Ihren so freundschaftlichen Brief ohne Erkenntlichkeit hätte lesen können. Nein, mein werthester Herr, ich nehme Ihre Liebe u. Ihre Freundschaft mit eben der Aufrichtigkeit an, mit der Sie mir sie an-bieten, u. ich nehme sie nicht allein an, sondern ich bitte Sie darum, u. will mich bemühen, sie zu verdienen, je weniger ich sie vielleicht noch verdient habe. Ich werde oft unruhig, wenn ich sehe, dass mir meine Schriften die Gewo-genheit so vieler rechtschaffenen Leute zuwege bringen; denn ich will dis Glük nicht allein erlangen, sondern auch behaupten; u. dazu gehören mehr Verdienste als ich habe. Also lesen Sie meine Schriften gerne, hoch-zuehrender Herr, u. ermuntern auch Ihre Freunde, sie zu lesen? Diese Belohnung, wie ich Ihnen aufrichtig sage, habe ich von dem Orte, aus dem ich sie erhalte, ohne Eigenliebe kaum hoffen können. Wie glüklich bin ich, wenn ich glauben darf, daß ich zur Erhaltung des Geschmaks u. der guten Sitten auch ausser meinem Vaterlande Etwas beitrage! Hat "der Christ", eins von meinen lezten Gedichten, auch Ihren Beifall? Ich beantworte mir diese Frage beinahe mit Ja. Sein Inhalt, Ihr edler Karakter, den Sie, ohne es zu wissen, in Ihrem Briefe mir entworfen haben, u. meine redliche Absicht scheinen, mir dieses Ja zu erlauben. Ich würde mehr mit Ihnen reden, wenn ich nicht im Begriffe stünde, in das Carlsbad zu reisen, dahin mich die elendeste Krankheit, ich meine die Hypochondrie, ruft. Mögte es doch Gott gefallen, mich von diesem Orte, den er für so viel tau-send Kranke gesegnet hat, u. an dem ich schon vorm Jahr oft mit Thränen u. Heiterkeit des Geists ge-betet habe, mich, sage ich, gesünder zurückzubringen, als ich hin reise! Doch vielleicht wünsche ich zu viel, viel-leicht gar Etwas, das mir nicht gut seyn würde. Begleiten Sie mich indessen mit Ihren Wünschen, wer-thester Herr. Bin ich im Stande, Ihnen hier, es sei worin es wolle, zu dienen, so will ich Ihnen beweisen, dass ich des Vertrauens, das Sie in mich sezen, nicht unwerth bin. Allen Ihren Freunden, wenn sie Ihnen gleichen (u. wie sollten Sie Freunde haben, die Ihnen nicht ähnlich wären?) empfehle ich mich beßtens. Ihnen aber danke ich nochmals für den schönen, beredten u. empfindungsvollen Brief, mit dem Sie mich erfreuet haben, u. bin mit der vollkom-mensten Hochachtung Euer Hochedl gehorsamster Diener ____________________________________________\hfill Christian Fürchtegott Gellert P.S. dh. Professor Formey in Berlin hat einen kleinen Roman von mir Leben der schwedischen Gräfinn in das französische schön übersetzt – wenn Sie vielleicht dieses Werk lesen wollen.