Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart
Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family
Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
Salzburg
Austria
The Packard Humanities Institute
Los Altos
California, USA
Morgenstern
Anja
text encoding, text editing
Kelnreiter
Franz
technical supervisor, data modelling
Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
Wissenschaftliche Abteilung. Digitale Mozart-Edition
Ulrich Leisinger
Digitale Mozart-Edition
[https://dme.mozarteum.at]
2020-02
CC BY-NC-SA 4.0
https://dme.mozarteum.at/DME/briefe/letter.php?mid=684
Verbleib unbekannt (Vorlage: Abschrift um 1768 in D-B)
last file update: Wed May 11 14:48:06 2022
LEOPOLD MOZART AN LORENZ HAGENAUER IN SALZBURG
WIEN, 30. JANUAR BIS 3. FEBRUAR 1768
[... (Schluss der Abschrift des Briefes vom 12. November 1768)]
Dieser Brief gehört zwischen den Briefen vom 23 Januar und 30 März 1768.
_____Etwas für Sie allein!\hfill __Wien d 30 Jenner 1768
Es ist nun Zeit eine mehrere und klärere Nachricht
von unser weis nicht glücklich oder unglücklichen
Umständen zu geb und dero freundschafftliche
Meÿnung zu hören. Wenn das geld die einzige
Glückseeligkeit der Menschen ausmacht; so sind
wir sonder zweifel dermahl zu bedauern;
indeme wir, wie Ihnen bekannt ist, so viel
von dem unsern ausgelegt, daß wenig schein=bare Hofnung übrig ist, uns wieder erhohlen zu
könn. Ist hingegen die Gesundheit, und die
Geschicklichkeit in wissenschafften das beste Gut
des Menschen; so sind wir |: gott seÿ gelobt :|
noch wohl daran. Der gefährlichste Haubtsturm
ist überstanden; wir sind alle durch die Gnade
Gottes gesund, und meine Kinder hab gewiß
nichts vergessen, sondern, wie es sich zeigen
wird, grössern Fortgang gemacht.
Nichts wird Ihnen nun unbegreiflicher seÿn,
das weis ich, als wie das zugehet, daß unsere
Sachen keinen bessern fortgang haben. Ich werde
es Ihnen so gut ich kann, erklär: obwohl ich
sachen, die der Feder nicht anzuvertrauen sind,
weglassen muß. Daß die Wiener in genere zu
reden nicht begierig sind ernsthafte und ver=nünftige sach zu seh, auch wenig oder gar
keinen Begrief davon hab, und nichts als
närrisches zeug, tanz, teufel, gespenster,
Zaubereÿ, Hanswurst, Lipperl, Bernardon,
Hexen, und Erscheinung sehen woll,
ist eine bekannte Sache und Ihre theater
beweisen es täglich. Ein Herr, auch mit einem
Ordensband, wird wegen einem Hanswurstisch
Zott oder einfältig spas mit den Händ klatsch,
lach, daß er fast aus dem athem kömt, hingegen
beÿ der ernsthaftest scene, beÿ dem rührend, und
schönst action, und beÿ dem sinnreichesten Redensart
mit einer dame so laut schwätz, daß andre ehrliche
Leute kein Wort versteh könn. Daß ist nun der Haubtgrund.
die Hauswirthschafft des Hofs, die ich hier nicht beschreib kan,
ist eine Sache, die viele folg nach sich ziehet, welche zu erklär,
und mit exemplen klar zu mach zu weitläuftig seÿn
würde. und dieß ist der zweÿte Grund. aus diesen
zweÿ Grunden entspring unzahlbare wunderliche
Sach: weil alles von dem puren Blind und ungefähr
Glück, auch öfters von einer abscheulich, doch nicht
all Mensch gegeben, Niederträchtigkeit
oder gar von einer recht kek und verwegen Wind=machereÿ abhängt. Nun auf unsere Sache zu kom
so hab sich viele andre wiedrige zufälle eräugnet.
Beÿ unserer Ankunft konnt wir nichts anders thun,
als uns dem Eingang nach Hofe zu eröffn. allein
Se Maÿst: die Kaÿserin hält keine Musik mehr beÿ sich,
sie gehet weder in die opera, noch in die komedie und ihre
lebensart ist so von der Welt entfernet, daß ich es ohnmöglich
genug beschreib kan. Sie ließ uns an den Kaÿser anweis.
allein, da dieser Herr alles dasjenige was einige
ausgaabe nach sich zieh möchte in Höchsten Grade
verabscheuet, so gieng es lange her, bis er zu einem
Entschluß kam, daß entzwisch die trauerige bege=benheit der Prinzessin Braut, und alles dasjenige
dazwisch kam, was Ihn aus mein brief schon
bekannt ist. Nach unserer zurückkunft aus Mähr
kam wir zu den höchst Herrschafft ohne das wir
daran dacht. kaum wurde der Kaiserin erzehlt
was mit uns in ollmitz vorgegang, und das wir
zurückgekom, so erhielt wir den tag und Stunde
wenn wir erschein sollt. allein was hilft alle die
Erstaunliche Gnade, die unbeschreibliche Leutseeligkeit!
was ist die Wirkung davon? nichts, als eine Medaille,
die zwar schön ist, aber so wenig beträgt, daß ich gar nicht
einmahl dess Werth hersetz mag. Sie überläst das übrige
dem Kaÿser: und dieser schreibt es in das Buch der Vergessenheit ein
und glaubt ganz gewiß, daß er uns mit sein gnädigst
unterredung bezahlt habe. Nun werd sie mich frag,
was den die übrige Noblesse in Wienn thut? – – –
Was sie thut? – – die ausgab schrenk sie alle ein,
so viel es möglich ist, um sich dem Kaÿser gefällig zu mach.
Verschwendet das oberhaupt, so läst jederman das Rädl
laufen; Ist hingegen das oberhaupt sparsam; so will
ein jeder der beste Hauswirth seÿn. – – – –
so lange der Fasching dauert denkt man hier auf
nichts als auf das tanz. in allem Ecken sind ball:
aber Nb: alles auf gemeine Unkösten; so gar die
Redoute beÿ Hofe ist für paares geld. und wer hat
den Nutzen davon? – – – der Hof! den alle tänze,
Redouten, Ball, und alle spectacul sind verpachtet.
andre haben den Nam und der Nutz wird zwisch
dem Hof und Pachter so zu sagen getheilet. wer also
dahin gehet, erweiset auch dem Hof ein guten Dienst.
Dieß sind demnach die politisch ausgaab der Noblesse.
Wir hab die grösten Personn der Noblesse zu unserer
Protection. Der Fürst Kaunitz, der duc de Braganza.
die Fräulein von guttenberg die das linke aug der
Kaÿserin ist, der obriststahlmeister graf dietrichstein,
welcher alles beÿm Kaÿser vermag, sind unsre
Freunde. aber, welcher zufall! noch haben wir
den Fürst Kaunitz nicht sprech könn, weil er
die Schwachheit hat, die Blattern so zu förcht, daß
er leute scheuet, die auch nur noch rothe Flecken
in Gesichte hab: folglich, da der Wolfgangerl
noch viele rothe fleck die zwar klein sind, beÿ
der Kälte aber doch sichtbar sind in
Gesicht hat, so ließ er uns nur durch unsern
Freund de logier sagen, daß er für unser intresse
in der Fasten sorg werde, indeme mann itzt
die Noblesse zur Faschingszeit nicht unter einem
Hut zusambring kann.
Da ich nun diese Sache am besten überlegte, und
bedachte, daß ich bereits so vieles geld ausgelegt,
und wenn ich itzt ohne etwas anders abzuwarten,
nach Hause reisen wollte, es vielleicht eine grosse
thorheit seÿn würde: so eraignete sich eine ganz
andre Begebenheit. Ich erfuhr nemlich, daß alle
Clavierist und Componist in Wienn unseren
Fortgang sich wiedersetzt, ausgenohm der
einzige Wagenseil, der aber, da er krank zu
Hause ist, nichts helf oder wenig zu unsern
Vortheil beÿtrag kann. die Hauptmaxime
dieser leute war alle Gelegenheit uns zu
sehen und die Wissenschafft des Wolfgangerl
einzusehen, sorgfältigst zu vermeid: und
Warum? – – – damit sie beÿ dem so viel fäll,
da sie gefragt würd, ob sie diesen Knab gehört
hätt, und was sie davon hielt, allzeit sagen
konnt, daß sie ihm nicht gehört hab, und
daß es ohnmöglich wahr seÿn könnte, daß es
spiegelfechtereÿ, und harlequinaden wär,
daß es abgeredte Sach wär, da man ihme Musik
zu spiell giebt, die er schon kennt, daß es lächerlich
seÿe zu glaub daß er componirt p: p: – – – –
sehen sie dessentwegen flieh sie uns. den der es
geseh und gehört, der kann nicht mehr so red
ohne sich in gefahr zu setz, seine Ehre dabeÿ zu
verlieren.
Einer von dieser art leüte habe ich in das garn bekom.
Wir hatt es mit jemand abgeredet, uns in der Stille
Nachricht zu geben wen er da ist. Er sollte aber dahin
kom, um dieser Person ein recht ausserordentlichs schweres
Concert zu überbring welches man dem Wolfgangerl
vorlegen sollte. wir kam also dazu: und er hatte
hiemit die gelegenheit sein concert von dem wolfgangerl
so wekspielen zu hören, als wüste er es auswendig.
Das erstaunen dieses Compositors und Clavieristen,
seine ausdrücke und redensart deren er sich beÿ
seiner Verwunderung bedienet gab uns alles zu
verstehen was ich Ihnen oben schon gesagt habe.
und letztlich sagte er: ich kan als ein Ehrlicher Mann
nichts mehr sagen, als das dieser Knabe der gröste
Mann ist, welcher dermahl in der Welt lebt. Es war
unmöglich zu glauben. – – – Nun um das Puplicum zu
überzeugen, was aigentlich an der Sache ist, so habe
es auf einmahl auf etwas ganz ausserordentliches
ankomen zu lassen mich entschlossen. nämlich er soll eine
Opera fürs theater schreiben. – – – und was glauben Sie,
was für ein lärm unter der Hand unter denn
componist entstand? – – was? – – heut soll man
einen Gluck und morgen ein Knab von 12 Jahr
beÿ dem Flügel sitzen und seine opera dirrigir sehen? – – –
ja trotz aller Neider! Ich habe so gar den Gluck auf
unsere Seite gebracht, so zwar, wen es ihm auch nicht
gänzlich von Herzen geht, so darf er es nicht merk
lass, den unsere Protectores sind auch die seinig,
und um mich wegen der acteurs sicher zu stell, die
dem componist gemeiniglich die gröst verdruß mach,
so habe ich die Sache mit ihnen selbst angefang, und einer
Ihnen selbst muste mir alle anschläge dazu geben.
den ersten gedank aber, den Wolfgangerl eine opera
schreib zu lass, gab mir die Wahrheit zu bekenn, der
der Kaiser selbst indeme er den Wolfgangerl 2 mahl
fragte, ob er lust hätte eine opera zu componir, und
selbe zu dirigiren? Er sprach freÿlich ja, allein der
Kaÿser konnte auch mehr nicht sagen, indeme die opera
den Affligio angeh. die Folg |: wen gott aushilft solches
zu Ende zu bring :| von diesen unternehmen sind so
gross, aber auch so leicht einzusehen, daß sie keiner
Erklärung bedärfen. Nun därf ich mir aber kein geld
gereu lassen: den es wird wohl heut oder morgen wieder
komen. Wer nichts wagt, gewinnt nichts; ich muß die
Sache recht an das licht bringen. Es muß gehen oder
brechen! ich, was ist geschickter dazu als das theater?
die opera wird aber erst nach ostern seÿn, das versteht
sich. Ich werde um die Erlaubniß länger hier zu bleib,
nachstens schreiben. – – – Es ist aber keine opera
seria, den es wird keine opera seria mehr Itzt; und
man liebt sie auch nicht, sondern eine opera buffa. nicht
aber eine kleine opera buffa, sonder zu 2 12 Stund bis 3 Stund
lang. zu Seriosen opern sind keine Sänger hier, selbst
die trauerig opera die Alceste vom gluck ist von lauter
opera Buffa sängern aufgeführt word. itzt macht er
auch eine opera buffa: den für eine opera buffa sind exellente
leute da: Sgr Caribaldi. Sgr: caratolj. Sgr: Poggi. Sgr: Laschi.
Sgr: Polinj. die Sga: Bernasconj. Sgra. Eberhardi. Sgra. Baglionj.
Was sagen sie dazu, ist der Ruhm eine opera für das
Wiener Theater geschrieb zu hab nicht der beste weg nicht nur
ein Credit in Teütschland sondern in Itali zu erhalt. leb
Sie wohl.
__________d 3t februarij 1768