Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
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LEOPOLD MOZART AN WOLFGANG AMADÉ MOZART IN AUGSBURG SALZBURG, 18. UND 20. OKTOBER 1777 mit Nachschrift von Maria Anna (Nannerl) Mozart
10. ___________________________Mon très cher Fils!_________________________________________________________\hfill Salzb d 18 octob: 1777 Gestern erhielt euer Schreib vom 14t datiert aus Augsp: welches den 15t wird abgeschickt word seÿn. zu erst muß ich den Process wegen dem 11t octb: ausmach. und ich werde doch imer recht hab, daß ihr euch geirret: denn es stehet in klar Worten von meiner lieben Ehewirthin unterschrieb: Münch den 11t abends um 8 uhr. dan fängt meines Erbprinz Handschrift mit den Wort an. Münch den 11t octob: nachts um 34 auf 12 uhr schreibe folgendes da waret ihr ja schon in Augsp: wer hat nun recht? – – das der brief am Samstage erst um Mittag von Münch abgegang, wie ihr, das habe mir wohl vorgestellt. Die Trompeter blasen, halte die ohrn zu! Wir erhielt auch gestern abends die Schust: Duett, dan des h: v Kleymeyrs Bagage kam erst mit dem letzt Postwag. wir steckt gleich Liechter auf, und zu meinem gross Vergnüg spielte sie die Nanerl, ja zu meiner gross Verwunderung, ohne Anzusteh, auch, was für sie im Adagio vorkam, und überhaupts mit gusto und Expression. h: Bullinger, der beÿm Abbé Henrÿ war, kam eben da wir sie eröffnet, und wir war alle frohe, daß du in dem beygelegt schreib angezeigt, daß h: von Klaymeyr solche mit bringt, sonst hätten wirs dem Bedient, der sie gebracht, unmoglich glaub könn. ò wie lachte h: Bullinger! – – das du auf den altum Tempus ecclesiastic getanzt freuet mich, bedauere, daß du, weg abgang guter tänzerin, nicht mehrer Unterhaltung hattest. Daß Sr: F: g: von Chiemsee mit h: gr: Sensheim und Bergheim gesproch, mag wohl seÿn, es ist imer gut gethan; non si deve lasciar Strada intentata der Bischof ist gleich nach Werffen um zu fürm, dan geht er in sein Bistum in die Visitation, und nach Bischofhof das neue Gebäude anzuseh; so bald er zurück komt, werde ihm aufwarten. Die Accademie am Albertisch Nahmenstag wird wunder=lich ausgefall seÿn beÿ einem so tacktvest violinist als Dubreill ist. Gr: Seeau wird ihn besser ken, desweg hat er beÿ deiner opera Buffa den Jos: Cröner ersucht. daß sie beÿ Ab=spielung deiner letzt Cassation alle gross darein geschauet, wundt mich nicht, du weist selbst nicht wie gut du Violin spielst, wen du nur dir Ehre geb und mit Figur, Herzhaftigkeit, und Geist spiel willst, ia, so, als wärest du der erste Violinspieler in Europa. du darfst gar nicht nachlässig spielen, aus närrischer Einbildung als glaubte man, du hieltest dich für ein grossen Spieler, da manche nicht einmal wissen, daß du die Violin spielest, und du von deiner Kindheit an als Clavierist bekannt bist, woher soll also der Stoff zu dieser Einbildung und vermuthung kom? – – zweÿ worte: Ich bitte vorhinein um Vergebung, ich bin kein Violinspieler: dan mit Geist gespielt! das setzt dich über alles hinweg. ò wie manchmal wirst du einen Violinspieler, der hochgeschätzt wird, hör, mit dem du Mitleid haben wirst! – – Was du mir von Augsp: und dem Besuche des Stattpfl: Longotabaro schreibst hat mit meiner vermuthung ganz übereins getroff. dieser Brief machte mich und dan auch uns alle |: darunter ist allzeit h: Bullinger ein Hauptperson :| erstaunlich lachen. So oft ich an deine Reise nach Augsp: dachte, eben so oft fiel mir Wielands Abderitt ein: man muß doch, was man im lesen für pures Ideal hält, Gelegenheit bekom in Natura zu seh. h: Longotabaro war ein ausserordentlicher guter Kopf in seinem Studier, kam aber niergendshin als nach Salzb: und Insprugg seine Studia zu treib und Juris utriusque Doctor zu werd: von da tratt er gleich die untersten Magistrats Stell an, diente beÿ der Augsp: StattRegierung durch alle Klassen von unt auf, und wurde endlich Stattpfler, welches die höchste Stuffe ist. Er hat also nichts in der Welt geseh. daß mein Bruder im vorhaus hat wart müssen, wird nur dir, ihm aber gar nicht seltsam vorkom seÿn. Alle Bürger in Salzb:, und wen es der erste Kaufman ist, müssen beÿm StattSÿndicus im Mantl erschein: und da läßt er, was sonderheitl. die gemein Bürger sind, solche manchmahl im vorhause stunden weis wart; und der Syndicus ist doch nichts als Syndicus und nicht der Regierende Fürst. der Stattpfleger in Augsp: ist aber ihr regierender Schellenkönig. das sind diese Leute schon gewohnt, sie haben den erstaunlichst Respect, weil sie kein grössern Herrn könn, und dieser ihr regierend Herr weis nicht geschwind, wie er mit andern Leut reden muß, da er meistens nur gewohnt ist mit seinen Magistratsdienern, od mit seiner Burgerschaft von der Höhe seines schmuzig Thrones herunter zu sprech, die niemals INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 zu ihm komen, ausgenom seine Befehle zu vernehm, oder ihn um eine Gnade zu bitt: und so sind alle diese so genannt vornehm Herrn in d Reichsstätt. und diese stolze und unbesonnene Plumpheit sind sie auch im Stande geg wirklich grosse regierende Herrn auszuüb, welches dem Augsp: Magistratt, so lang Augsp: stehet, sonderheitlich geg den Churf: aus Bayern, schon einige 100 tausend Guld ge=kostet hat; da er ihn, auf iede beleidigende Plumpheit den Lechfluß sperrt: dan hab sie kein Wasser, und müssen Bezahlen, schmieren, und eingeh was man verlangt, und noch recht schöne Worte ausgeb. – – die Prelat in Augsp: war alle, die ich, als iunger Mensch, kannte, alle solche Schrollen, und werd es noch seÿn: à bove majore discit arare minor. arare heist das feld pflügen, od mit dem Pflueg anbau. – – Im Cofféhauß gieng es mir einmahl noch übler, den es war beÿ der Nacht, wo nicht nur auf all Tischen Liechter brannt, sond, da man Billiard spielte, die Liechter beÿm Billiard mit dem Tobacksrauch vereinigt so ein gestank, und dicken Nebel macht, daß ich beÿm Eintritte nur die Bewegung von Mensch, sonst aber nichts unterscheid konnte. Montag den 20t Octob: Nun erhielt ich dein Schreib vom 17t und war sehr vorwützig auf die Folge der Augsp: geschichte. Die Betteleÿ des Augsp: Patritiats ist aller Welt bekannt, und ieder ehrliche Weltman in Augsp: lacht darüber; desweg sind sie auch im Sold der reichen Kaufmanschaft, die fürs Geld von der hungerig Obrigkeit alles erhalt könn. Was den jung Longotabaro an=belanget, hat er die Liebhabereÿ zum foppen, und der spötteleÿ nicht gestohl; dan sein cher Pere, war auch ein Liebhaber: folglich fehlt es an der Erziehung, und das ist auch all das Vor=recht, dess sich die Patriziats Buben iederzeit angemasset, und also noch anmass, über andere, wens Gelegenheit giebt, zu spass, in diesem bestehet ihr hoher Adl. wer sich mit ihn ein bisschen gemein macht, der giebt ihn gleich das Herz und verfällt in ihre Spötteleÿ, die sie sonst nur geg ihre Leute ausüb. Du hast dich mit diesem Bub zu gemein gemacht. Ihr wart mit einand in der Comœdie! ihr ward Lustig! du warst zu wenig zuückhaltend und zu vert=raut! kurz! du warst, für ein solchen Poppen zu natürlich, und er glaubte, nun därfte er mit dir spassen. das mag dir zur Regl dien, mehr mit erwachsen Person freÿ und natürlich umzugeh, als mit solch ungezogen unzeitigen Bueb, die mit nichts groß thunn, als daß ihr Vatter Stattpfl: ist: gegen solche Pursche muß man sich imer zurückhalt und ihrem Umgang, folglich ihrer Vertraulichkeit mit allem fleiß ausweichen. Das ist beÿ allem dem gewiß; mich würden sie schwerlich in ihre Bettl=accademie gebracht hab. Basta! du hast es dem h: Stein zum Gefahlen gethan, und ich glaube du wirst nun auch eine öffentl: accademie gegeb haben: und dan abgereist seÿn, oder wenigst itzt reisen. Ich habe mit der Vorigen Post einen grossmächtigen Brief Francò an dich ergeh lass, darin eine samlung guter Spart ist, du wirst es unterdess erhalt haben. damit ich es ja nicht vergesse, so folgt hier die Adresse an Bischof in Ch: À Son Altesse Reverendissime Monseigneur Ferdinand Christofle Prince du St: Empire ___________et Evêque de Chiemseé_______________________ Wo wirst du aber nun hinschreib? – – er komt itzt wieder nach Salzb: zurück: du must imer nach Salzb: schreib, oder abwart bis ich dir Nachricht gebe, daß er wieder in Münch ist. inwendig schreibst:__________________Hochwürdigster des Heil: Röm: Reichs Fürst! __________________________________________________________gnädigster Fürst! im Contextû Euer Fürstlich Gnaden p: – – Hochdieselben p: Hochderoselb p: ____am Ende Euer Fürstl: Gnad __________________________unterthänigst gehorsamster _____________________________________________Wolf: Amad: INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 daß ich dem Missl: geschrieb hab dir berichtet._________Wen du nach Manheim komst, muß die Hauptperson, der du dich gänzlich vertrau kanst, Sgr. Raff seÿn, der ein Gottförchtiger, erlicher Man ist, die deutsch liebt, und dir vieles rath und helfen kan. wen er es nur dahin bring könnte, daß dich der Churfürst den Winter durch beÿ sich behielt um zu untersuch, was du kanst, und dir Gelegenheit verschaffte, daß du dich zeigen kanst. Sgr. Raff kan dir am best rathen, und mit diesem must du dir eine besondere Unterredung ausbitt. h: daner Violinist, ist unser alter freund und bekannter, der wird dich beÿ ihm aufführ. deine Absicht must du aber niemand, als h: Raff entdeck, der dir sagen wird, ob du beÿm Churfürst Audienz nehmen sollst, und vielleicht dir solche selbst erleichtern kan. Anfangs solltest du nur suchen dich hör zu lass: alsdan muß man erst audienz nehm und das andere in Bewegung setz. Ist gar nichts zu mach, so bekomt doch ein schönes Regal. die Sache bleibt auch mehr verdeckt; dan wen du dich produciert hast, dan präsentierst du auch dem Churf: etwas von deiner Composition. und endlich bittest du den Churf: selbst, daß er dich mehr unter=suchen, und dir Gelegenheit geb möchte dich in allen Art der Composition zeigen zu könn. sonderheitl: auch in Kirch sach. du must in die Capelle zu geh nicht versäum, und ihre Art – länge od Kürze p: bemerk. den solche Herrn halt imer die Methode, an die sie gewohnt sind, für die beste: Consuetudo est altera natura! da giebt es, glaube, schon ein bessern Kirchen Componist als in München. Es wird noch ein guter alter da seÿn. in Manheim giebst auch Gelegenheit fürs deutsche Theater zu schreib. Aber NB nur sich niemand vertrau, dan, mancher sagt: ich wünschte daß sie hier blieb, um deine Absicht dir ab=zulocken, und dan entgeg zu arbeit. Basta! Vernunft! und Zurückhaltung! Gott gebe euch gesundheit, ich befinde mich |: Gottlob :| Cento per Cento besser, hab gar keine Huste mehr, und hoffe noch eine bessere Zeit für uns arme Narr mit Gottes hilfe zu erleb. Ich bitte dich, halte dich an Gott, dermuß es thun, dan die Menschen sind alle Böswichter! ie älter du wirst, iemehr du Umgang mit den Mensch hab wirst, ie mehr wirst du diese traurige Wahrheit erfahr. denke nur auf alle Ver=sprechen, Maulmachereÿ und hundert Umstande die mit uns schon vorgegang, und mache den Schluss selbst, wie viel auf Menschenhilf zu bau ist, da am Ende ieder geschwind eine scheinbare Ausflucht weis, oder erdichtet, um die verhinderung seiner guten Gesinung auf die Schuld eines dritten hinüber zu wälzen. Ich küsse die liebe Mama und wünsche ihr Gedult, und sie soll sich für die kälte wohl verwahr. dich küsse ich und bitte dich, alles was du thust, mänlich zu überleg, und dich mit freundschaft und vielem vertrau nicht so geschwind iedem Maulmacher zu überlass, Gott segne euch auf eurer Reise, und da ich euch beyde nochmals Millionmahl Kisse bin ich d alte __________________________________________________________________________________________________________________________________________\hfill Mozart mp INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 ________________________Liebster herr bruder! mich erfreüet es das die mama und du gott lob und dank gesund sind. mir ist leid, das ich nicht öfters schreiben kan, aber erstlich habe ich nicht zeit, und zum zweÿten zu der nemlichen zeit wenn ich müssig wäre schreibt Just allzeit der papa. ich bedanke mich für die schusterischen duetten. sie sind recht hübsch und herzig, wer hat sie dir gegeben? müssen wir sie abschreiben, und dir zuruk schiken? gestern war pelzlschüssen beÿ uns, gilovsky katerl hat beÿ uns gespeist und gab das beste. Junf: Salerl, und graf Leopold haben sich in unsern schützen protocoll ausstreichen lassen, und gestern haben aber wurklich sich zweÿ schützen einschreiben lassen. welche auch selbst geschossen haben welche sind frl: v: schidenhofen und frl: v: kranach. sie blieben beÿ uns bis um 9 uhr und wir schmierten. den künftigen Sontag wird die mama das beste geben. und da du mir gesagt hast ich soll dir schreiben, wens dich trift, so wäre es mir lieb, wenn du gleich schriebest deinen gedanken zu einer scheiben. so könte ich sie gleich angeben. und nach dem in 14 täge anstat deiner das beste Geben. das beste gewann der papa für den zahlmeister und für dich schüß er auch und gewann dir 9 x. ich habe für die mama geschossen und verlohr der mama 5 x. itzt muß ich schlüssen um zur Hagenauer ürserl gratuliern gehen. ich küsse der mama die Hände und dich ambrassire ich. Unser beÿder Empf: an mein Lieb h: Bruder Frau Schwägerin und Jungf: Bäsle. daß mein jungf: Bäsle, schön, vernünftig, lieb, geschickt und lustig ist, das freuet mich unendlich, und ich hab gar nichts dageg einzuwend, sond wünschte vielmehr die Ehre zu haben, sie zu sehen. Nur scheint es mir, sie habe zu viel bekanntschaft mit Pfaffen. wen ich mich betriege so will ich ihrs vor lauter freud Kniefällig abbitt. dan ich sage nur: es scheint mir; und der Schein betrüegt, absonderlich so weit – – von Augsp: bis Salzburg, absonderlich itzt, wo die Nebl fall, daß man nicht auf 30 Schritte durchseh kan. – Nun mögt ihr lachen wie ihr wollt! Es ist schon recht, daß sie schlim ist: aber die geistlichen Herrn sind oft noch weit schlimer. Ich erwarte die Continuation weg der Steinisch Instrument: und d Duchesse Arschbömerl &c: INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881