Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
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WOLFGANG AMADÉ MOZART AN ABBÉ JOSEPH BULLINGER IN SALZBURG PARIS, 7. AUGUST 1778
56_______________________________________________________________________________________________________\hfill Paris ce 7 aoust 1778 An den________________________________Allerliebster freünd!______________49____________________________________________1 Abbé Bullinger,Hofmeister im Hause des Grafen Arco in Salzburg. Nun erlauben sie, daß ich vor allem mich beÿ ihnen auf das nachdrücklichste bedancke, für das neüe freündschaft=stück so sie mir erwiesen, nemlich daß sie sich meines liebsten vatters so sehr angenohmen, ihn so gut vorbereitet, und so freündschaftlich getröstet haben; – sie haben ihre Rolle fortreflich gespiellt – dieß sind die eigenen worte meines vatters; bester freünd! – wie kan ich ihnen genug dancken! – sie haben mir meinen besten vattern erhalten! – ihnen hab ich – ihn zu dancken; – Erlauben sie also, daß ich gänzlich davon ab=breche, und gar nicht anfange mich zu bedancken, den ich fühle mich in der that zu schwach, zu unvollkomen, – zu unthätig darzu – bester freünd! – ich bin so imer ihr schuldner; – doch, gedult! – ich bin, beÿ meiner Ehre noch nicht im stande ihnen das bewuste zu ersetzen – aber zweifeln sie nicht; gott wird mir die gnade geben, daß ich mit thaten zeigen kan, was ich mit worten – nicht auszudrücken im stande bin – ja, das hoffe ich! – unterdessen aber, bis ich so glücklich werde, erlauben sie mir, daß ich sie um die fortsezung ihrer schäzbaren und werthesten freündschaft bitten darf – und zugleich, daß sie die meinige, neüerdings, und auf imer – anehmen; welche ich ihnen auch mit ganz aufrichtigen – guten herzen auf Ewig zuschwöre; – sie wird ihnen freÿlich nicht viell nutzen! – desto aufrichtiger, und dauer=hafter wird sie aber seÿn – sie wissen wohl, die besten und wahrsten freünde sind die arme – die Reiche wissen nichts von freündschaft! – besonders die darinen gebohren werden; – und auch diejenigen, die das schicksaal darzu macht, verlieren sich öfters in ihren glücks=umständen! – wen aber ein Man, nicht durch ein blindes, sondern billiges glück, – durch verdienste in vortheilhafte umstände gesezt wird, der in seinen Erstern misslichen umständen seinen Muth niemalen fallen lassen, Religion, und vertrauen auf seinen gott gehabt hat, ein guter Christ und Ehrlicher Man war, seine wahre freünde zu schätzen gewust, mit einem wort, der ein besseres glück wircklich verdient hat, – von so einem ist nichts übles zu förchten! –  Nun will ich ihren brief beantworten; izt werden sie wohl alle wegen meiner gesundheit ausser Sorge seÿn – den sie müssen unterdessen 3 briefe von mir erhalten haben – der Erste von diesen, dessen inhalt in der trauerigen DOM=MUSICK=VEREINU.MOZARTEUM INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 Nachricht des Tods meiner seeligen Mutter besteht, ist ihnen, bester freünd, eingeschlossen worden; – ich weis es, sie entschuldigen mich auch, wen ich von dieser ganzen sache schweige – meine gedancken sind doch imer dabeÿ; sie schreiben mir, ich soll izt nur auf meinen vatter dencken, ihm aufrichtig meine gesinungen entdecken, und mein vertrauen auf ihn setzen, – wie unglücklich wäre ich nicht, wen ich diese er=rinerung nöthig hätte! – Es ist sehr nützlich für mich, daß sie mir sie machten; – allein, ich bin vergnügt – | und sie sind es auch :| daß ich sie nicht brauche; – in meinem lezten an meinen lieben vatter habe schon so viell geschrieben, als ich bis dato selbst weis – und ihn versichert, daß ich ihm allzeit alles umständlich berichten, und meine meÿnung aufrichtig entdecken werde, weil ich mein ganzes vertrauen auf ihn habe, und seiner vätterlichen sorge, liebe und wahren güte gänzlich versichert bin – gewis wissend, daß er mir auch einmal eine bitte, von welcher mein ganzes glück und vergnügen meines übrigen lebens abhängt, und welche | wie er es auch von mir nicht anderst erwarten kan | ganz gewis billig und vernünftig ist, nicht abschlagen wird. liebster freünd! – lassen sie dieses meinem lieben vattern nicht lesen; – sie kenen ihn; er würde sich allerleÿ gedancken machen, – und zwar unnütz; – Nun von unserer Salzburger Historÿ! sie wissen, bester freünd, wie mir Salzburg verhasst ist! – nicht allein wegen den ungerechtigkeiten die mein lieber vatter und ich aldort ausgestanden, welches schon genug wäre, um so ein ort ganz zu vergessen, und ganz aus den gedancken zu vertilgen! – aber lassen wir nun alles gut seÿn – es soll sich alles so schicken, daß wir gut leben könen; – gut leben, und vergnügt leben, ist zweÿerleÿ, INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 _______________________________________________________________________________________________________________2 – und das lezte würde ich | ohne hexereÿ | nicht könen; es müste wahr=haftig nicht natürlich zugehen! – und das ist nun nicht möglich, den beÿ iezigen zeiten giebt es keine hexen mehr; – doch, mir fällt etwas ein; es giebt so gewisse leüte in Salzburg – die da gebürtig sind, und die stadt davon wimelt – man darf diesen leüten nur den Ersten buchstaben ihres wahren Namens verwechseln, so könen sie mir behülflich seÿn; – Nun, es mag geschehen was will, – mir wird es allzeit das gröste vergnügen seÿn, meinen liebsten vatter und liebste schwester zu umarmen, und zwar je ehender je lieber; aber das kan ich doch nicht läügnen, das mein vergnügen und meine freüde dopelt seÿn würde – wens wo anderst geschehe – – weil ich überall mehr hofnung habe vergnügt und glücklich leben zu könen! – sie werden mich vielleicht unrecht verstehen, und glauben Salzburg seÿe mir zu klein? – da würden sie sich sehr be=trügen; – ich habe meinem vattern schon einige ursachen darüber ge=schrieben; unterdessen begnügen sie sich auch mit dieser, daß Salzburg kein ort für mein Talent ist! – Erstens sind die leüte von der Musick in keinen ansehen, und zweÿtens hört man nichts; es ist kein Theater da, keine opera! – wen man auch wircklich eine spiellen wollte, wer würde den singen? – seit 5 gegen 6 jahre war die Salzburgerische Musick noch imer Reich am unützlichen, – unothwendigen – aber sehr arm am nothwendigen, und des unentberlichsten gänzlich beraubt; wie nun wircklich der fall ist! – die grausamen fran=zosen sind nun ursache daß die Musique ohne kapellmeister ist! – izt wird nun, wie ich dessen gewis versichert bin, Ruhe und ordnung beÿ der Musick herschen! – ja, so geht es, wen man nicht vorbauet! – Man muß allzeit ein halb duzend kapellmeister bereit haben, daß, wen einer fehlt, man gleich einen andern einsetzen kan – wo izt einen hernehmen? – – und die gefahr ist doch dringend! – Man kan die ordnung, Ruhe, DOM=MUSICK=VEREINU.MOZARTEUM und das gute vernehmen beÿ der Musique nicht überhand nehmen lassen! – – sonst reisst das übel imer weiter – und auf die lezt ist gar nicht mehr zu helfen; sollte es den gar keine Eselohrn=Perücke – keinen lauskopf mehr geben, der die sache wieder im vorigen hinkenden gang bringennte? – ich werde gewis auch mein möglichstes dabeÿ thun; – Morgen gleich nehme ich eine Remise auf den ganzen tag, und fahre in alle spittäller und Siechenhäüser, und sehe ob ich keinen auftreiben kan; warum war man doch so unvorsichtig und ließ den Misliwetceck so weg=wischen? – und war so nahe da; das wäre so ein Pissen gewesen; so einen bekomt man nicht so leicht wieder – der just frisch aus den Herzog=Clementischen Conservatorio # heraus kömt! – und das wäre ein Man gewesen der die ganze hofmusick durch seine gegenwart in schröcken würde gesezt haben; Nu, mir darf just nicht so bang seÿn; wo geld ist, bekomt man leüte genug! – meine Meÿnung ist nur, daß man es nicht zu lange sollte anstehen lassen, nicht aus närrischer forcht man möchte etwa keinen bekomen, den da weis ich nur gar zu wohl, daß alle diese herrn schon so begierig und hofnungs=voll darauf warten, wie die juden auf den Messias – allein, weil es nicht in diesen umständen auszuhalten ist – und folglich nothwendiger und nützlicher wäre, daß man sich um einen kapellmeister, wo nun wircklich keiner da ist, umsehe, als daß man, | wie mir geschrieben worden | überall hinschreibt, um eine gute sängerin zu bekomen; ich kan es aber ohnmöglich glauben! – eine Sängerin! wo wir derer so vielle haben! – und lauter fortrefliche; Einen Tenor, obwohl wir diesen auch nicht brauchen, wollte ich doch noch ehender zugeben; aber eine Sängerin, eine Prima dona! – wo wir izt einen Castraten haben; – es ist wahr, die haÿdin ist kräncklich; – sie hat ihre strenge lebens=art gar zu sehr übertrieben; es giebt aber wenig so! – mich wundert daß sie durch ihr beständiges geiseln, Peitschen, Cilicia=Tragen, übernatürliches fasten, nächtliches betten – ihre stime nicht schon längst verlohren hat! – – sie wird sie auch noch lange behalten – und sie wird auch anstatt schlechter imer besser werden; – sollte aber Endlich gott sie unter die zahl seiner heilige setzen, – so haben wir noch imer 5, wo jede der andern den vorzug streittig machen kan! – Nun da sehen sie, wie unothwendig das es ist! – ich will es nun aber aufs eüsserste bringen! – setzen wir den fall, daß wir nach der weinenden Magdalena keine mehr hätten, welches doch # Dies ist ein Spottausdruck. Er meint damit das herzogliche Clementische Spital in München, und spielt an auf Misliwetcek, der daselbst in venerischer Krankheit gewesen war. INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 _______________________________________________________________________________________________________________3 nicht ist; aber gesezt eine köme gähe in kinds=nöthen, eine köme ins zuchthaus, die 3:te würde etwa ausgepeitscht, die 4:te allenfals geköpft, und die fünfte – hollte etwa der T– ,? – was wäre es? – nichts! – wir haben ja einen Castraten; – sie wissen ja was das für ein thier ist? – der kan ja hoch singen, mithin ganz fortreflich ein frauenzimer abgeben; – freÿlich würde sich das kapitl darein legen; allein, darein legen ist doch imer besser als darauf legen – und man wird diesen herrn nichts besonders machen; lassen wir unterdessen imer den h: Ceccarelli bald weibs= bald Mans=person seÿn; Endlich, weil ich weis daß man beÿ uns die abwechslungen, veränderungen, und neüerungen liebt, so sehe ich ein weites feld vor meiner, dessen aus=führung Epoche machen kan; Meine schwester und ich haben schon als kinder ein wenig daran gearbeitet, was werden nicht grosse leüte liefern? – O, wen man genereux ist, kan man alles haben; – mir ist gar nicht bang, | und ich will es über mich nehmen | daß man den Metastasio von wien komen lassen kan, oder ihm wenigstens den antrag macht, daß er etliche Tuzend opern verfertiget, alwo der Primo uomo, und die prima dona niemahlen zusamen komen. auf diese art kann der Castrat den liebhaber und die liebhaberin zugleich machen, und das stück wird dadurch interressanter, indem man die tugend der beÿden liebenden bewundert, die so weit gehet, daß sie mit allem fleiß die gelegenheit vermeiden sich in Publico zu sprechen; – da haben sie nun die meinung eines wahren Patrioten! – machen sie ihr möglichstes, daß die Musick bald einen arsch bekomt – den das ist das nothwendigste; einen kopf hat sie izt – das ist eben das unglück! – bevor nicht in diesen stück eine veränderung geschieht, kome ich nicht nach Salzbourg; alsdan aber will ich komen, und will umkehren, so oft V: S: steht; – Nun etwas vom krieg; so viell ich höre werden wir in Teütschland auch bald frieden haben; dem herrn könig von Preüssen ist halt ein wenig bang. in zeitungen habe ich gelesen, daß die Preüssen ein kaiserliches Dettachement überfallen haben, aber die Croaten und 2 Regimenter Cuirassier die in der nähe warn, und den lermen gehört haben, kamen den augenblick zu hülfe, attaquirten den Preüssen, brachten ihn zwischen 2 feüer, und nahmen ihm 5 Canonen; der weg, den der Preüss nach böhmen genomen hat, ist nun ganz verhauet und verhackt, daß er nicht mehr zurück DOM=MUSICK=VEREINU.MOZARTEUM INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 kan; die böhmischen bauern thun den Preüssen auch gewaltigen schaden; und beÿ den Preüssen ist ein beständiges Desertiren – das sind aber sachen, die sie längst schon, und besser wissen als wir hier; Nun will ich ihnen aber was hiesiges schreiben. die franzosen haben die Engeländer zum weichen gebracht; es ist aber nicht gar zu hitzig her=gangen – das merckwürdigste ist das in allem, freünd und feind 100 Man geblieben sind; ohngeacht dessen ist doch ein entsezlicher jubel hier, und man hört von nichts anders reden; man sagt izt auch, daß wir hier bald frieden haben werden; – mir ist es einerleÿ, was das hiesige be=trift; in Teütschland ist es mir aber sehr lieb, wen bald friede wird, aus viellen ursachen; – Nun leben sie recht wohl liebster freünd! verzeÿhen sie mir die schlechte schrift, allein die feder ist nichts nutz; Machen sie mein Compliment an ganz Salzburg, besonders machen sie meinen Respect an ihren h: grafen, meine Empfehlung den graf Leopold, und der lieben Salerl ein langes langes Compliment in versen – und meinem lieben vattern, und lieben schwester sagen sie alles – was ein sohn und ein bruder sagen würde, wen er das glück hätte, sie selbst sprechen zu könen; adieu; ich bitte sie um ihre schätzbare freündschaft, und versichere sie, daß ich Ewig seÿn werde, dero ______________________________________________\hfill wahre freünd und verbundenester diener __________________________________________________________________\hfill wolfgang Romatz. DOM=MUSICK=VEREINU.MOZARTEUM INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881