Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
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WOLFGANG AMADÉ MOZART AN LEOPOLD MOZART IN SALZBURG KAISHEIM, 18. DEZEMBER 1778
________Mon trés cher Pére!______________________________57_______________________\hfill kaÿsersheim den 18:ten Dec:bre ___________________________________________________________________________________________________________________\hfill 1778 sontags den 13:ten bin ich gott lob und danck glücklich mit der schönsten gelegenheit von der welt hier angelangt, und habe gleich das unbeschreibliche vergnügen gehabt einen brief von ihnen zu finden; – warum ich ihnen nicht gleich geantwortet, ist die ursache, weil ich ihnen die sicherste und gewisseste nachricht meiner abreise von hier melden wollte, und ich aber es selbst noch nicht wuste – mich aber endlich entschlossen, weil der h: Prälat den 26:ten oder 27:ten dieses nach München reiset, ihm wieder gesellschaft zu leisten – doch muß ich ihnen melden, daß er nicht über augsburg geht – ich verliere nichts dabeÿ, doch wen sie etwas vielleicht zu bestellen, oder zu betreiben haben, wo meine gegenwart etwa nothwendig seÿn sollte, so kan ich, wen sie befehlen, allzeit von münchen, weil es sehr nahe, eine kleine spazierfahrt hin machen; – meine reise von Manheim bis hieher war, für einen Man, der mit leichtem herzen von einer stadt weg=reiset, gewis eine der angenehmsten – der h: Prälat und sein herr kanzler, ein recht Ehrlicher, braver und liebenswürdiger Man fuhren allein in einer chaise der h: kellermeister P: Daniel, bruder Anton, h: secretaire und ich fuhren allzeit eine halbe – bisweilen auch eine stunde voraus; – allein für mich, dem niemal etwas schmerzhafter gefallen ist, als diese abreise, war folglich diese reise nur halb=angenehm – sie wäre mir gar nicht angenehm, ja gar Ennuiante gewesen, wen ich nicht von jugend auf schon so sehr gewohnt wäre, leüte, länder und städte zu verlassen, und nicht grosse hofnung hätte, diese meine zurückgelassene gute freünde wieder, und bald wieder zu sehen – unterdessen kan ich nicht läügnen, sondern muß ihnen aufrichtig gestehen, daß nicht nur allein ich, sondern alle meine gute freünde, besonders aber das Canabichische hauß, die lezten täge, da nun endlich der tag meiner trauerigen abreise bestimt war, in den bedauerns=würdigsten umständen war; – wir glaubten es seÿe nicht möglich daß wir scheiden sollten; – ich gieng erst morgens um halbe 9 uhr ab, und Mad:me Canabich stunde doch nicht auf – sie wollte – und konte nicht abschied nehmen; – ich wollte ihr das herz auch nicht schwer machen, reisete also ab, ohne mich beÿ ihr sehen zu lassen – allerliebster vatter! – ich versichere sie, daß dies vielleicht eine meiner besten und wahren freündinen ist – den ich nene DOM=MUSICK=VEREINU.MOZARTEUM INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 nur freünd und freündin eine Person die es in allen situationen ist – die tag und nacht auf nichts sinet, als das beste ihres freündes zu besorgen – alle vermögende freünde anspanet, selbst arbeitet, ihn glücklich zu machen; – sehen sie, dies ist das wahre Portrait der Mad:me Canabich – es ist freÿlich interesse auch dabeÿ; allein, wo geschieht etwas, ja, wie kan man etwas thun auf dieser welt, ohne interesse? – und was mir beÿ der Mad:me Canabich gar wohl gefällt, ist, daß sie es auch gar nicht läügnet; – ich will es ihnen schon mündlich sagen, auf was für art sie es mir gesagt hat; – den, wen wir alleine beÿsam sind, welches sich leider sehr selten ereignet, so reden wir ganz vertraut; – von allen guten freünden, die ihr haus frequentiren, bin ich der einzige der ihr ganzes vertrauen hat, der alle ihre haus=famillien=verdruß, anliegen, geheimnüsse und umstände weis; – ich versichere sie, |: wir haben es auch zu uns selbst gesagt :| daß wir uns das erstemal nicht so gut gekent haben – wir haben uns nicht recht verstanden; – aber wen man in hauß wohnt, so hat man mehr gelegen=heit einander kenen zu lernen; – und schon in Paris fieng ich an, die wahre freündschaft von Canabichischen hauß recht einzusehen, indem ich von guten händen wuste, wie er und sie sich um mich anahmen; ich sparre mir vielle sachen mündlich ihnen zu sagen und zu entdecken – den seit meiner zurückunft von Paris hat sich die scene um ein merckliches verändert – aber noch nicht ganz; – Nun etwas von meinen klosterleben; – das kloster an sich selbst hat keinen grossen eindruck auf mich gemacht, den wen man einmal kremsmünster gesehen hat, so – ich rede von äüsserlichen, und von den was man hier Hof heist – das kostbareste muß ich erst sehen; – was mir am lächerlichsten vormt, ist das grausame militaire – möchte doch wissen zu was? – nachts höre ich allzeit schreÿen: wer da? – gieb aber allzeit fleissig antwort; schmecks! – daß der h: Prälat ein recht liebenswürdiger Man ist, wissen sie; – daß ich mich aber unter die classe seiner favoriten zählen darf, wissen sie nicht; – es wird mich aber weder in glück noch un=glück bringen, glaube ich; – doch ist es imer gut einen freünd mehr in INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 der welt zu haben; – ich kene weder Mad:selle Ballon, noch h: Heigl und seine frau – was die monodrame oder Duodrame betrift, so ist eine stime zum singen gar nicht nothwendig, indeme keine Note darin gesungen wird – es wird nur geredet – mit einem wort, es is[t e]in Recitativ mit instrumenten – Nur daß der acteur seine worte spricht, und nicht singet; – wen sie es nur einmal an clavier hören werden, so wird es ihnen schon gefallen; – hören sie es aber einmal in der Execution, so werden sie ganz hingerissen, da stehe ich ihnen gut dafür; – allein einen guten acteur oder gute actrice erfordert es; – Nun schäme ich mich in der that, wen ich nach München kome ohne meine sonaten – ich begreife es nicht; – das war wohl ein dumer streich vom Grim – ich habe es ihm auch geschrieben, daß er nun einsehen wird, daß es eine kleine übereilung von ihm war; – mich hat noch nichts so geärgert, als dieses; – überlegen sie es; – ich weis, daß meine sonaten heraus sind seit anfangs Novembre – und ich als author habe sie nicht – und kan sie der Churfürstin, der sie dedicirt sind, nicht über=reichen; – ich habe unterdessen anstalten gemacht, daß sie mir nicht fehlennen; – ich hoffe daß sie meine baase in augsburg nun erhalten hat, oder daß sie beÿ joseph Killian alda liegen – und hab schon geschrieben, daß sie mir sie gleich schicken soll; – Nun bis ich selbst kome empfehle ich ihnen bestens einen organisten – zugleich auch guten clavieristen – h: demler in augsburg; – ich dachte gar nicht mehr an ihn, und war sehr froh als man hier von ihm sprach – das ist ein sehr gutes genie – die salzburgerischen dienste könten ihm zu seinen fernern glück sehr nützlich seÿn – den es fehlt ihm nichts als ein guter wegweiser in der Musick – und da wüste ich ihm keinen bessern Conducteur als sie mein liebster vatter – und es wäre, währlich schade, wen er auf abwege gerathen sollte! – Nun wird zu München die trauerige Alceste vom schweizer aufgeführt! – –  das beste |: nebst einigen anfängen, mittelpassagen, und schlüsse einiger arien | ist der anfang des Recitativ: O jugendzeit! – und dieß hat erst der Raaff gut gemacht; er hat es dem hartig |: der die Rolle des admet spiellt :| Punctirt, und dadurch die wahre Expression hineingebracht; – das schlechteste aber, |: nebst den stärckesten theil der opera :| ist ganz gewis die ouverture; DOM=MUSICK=VEREINU.MOZARTEUM INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881 wegen den kleinigkeiten die im kuffer abgegangen, ist es ganz natürlich, daß beÿ dergleichen umstände leicht etwas verloren, ja auch gestohlen wird; – das kleine amadistene Ringl, habe ich der garde geben müssen, die beÿ meiner mutter seel: gewacht hat, weil sie sonst den brautring behalten hätte; –  das dintenfas ist zu voll, und ich bin zu hitzig im einduncken, das sehen sie ganz klar – wegen der uhr haben sie es errathen, die hat studirt; habe aber nicht mehr als 5 louisd'or dafür bekomen könen, und das in an=sehung des wercks, welches gut war – denn die façon wissen sie von selbst, daß sie alt war, und izt gar ganz aus der mode; – weil wir just von uhren reden, so will ich ihnen sagen daß ich mir eine uhr mitbringe – eine wahre Pariserin; – sie wissen was an meiner steinerl=uhr war? – wie schlecht die steinerl waren, wie Plump und ungeschickt die façon – doch das würde ich alles noch nicht achten, wen ich nur nicht so viell unnützes geld für repa=riren und richten hätte ausgeben müssen! – und doch gieng die uhr einen tag eine stunde auch 2 zu frühe, den andern tag so viell zu spätt; – die von kuhrfürsten machte es just auch so, und war aber noch dabeÿ so schlecht und gebrechlich gearbeitet, daß ich es ihnen nicht sagen kan diese meine 2 uhren habe mit samt den ketten für eine Pariserin von 20 louisd'or hergeben – Nun weis ich doch einmal wie viell uhr das es ist? – so weit hab ich es mit samt meinen 5 uhren nicht gebracht; Nun habe ich doch unter vier, eine, wo ich mich darauf verlassen kan; – izt leben sie recht wohl, allerliebster vatter; so bald ich in München seÿn werde, werde ich ihnen meine anckunft benachrichtigen; – unterdessen küsse ich ihnen 1000mahl die hände, und meine liebe schwester umarme ich von ganzem herzen und bin dero meine Empfehlung an alle gute freünde besonders aber an unsern lieben h: Bullinger ________die adresse an heÿna ist; _______________________________________________à Monsieur Monsieur Heina, rue de Seine____________________________________________\hfill gehorsamster sohn feauxbourg st: Germain, à l'hôtel de Lille______________________\hfill wolfgang Amadè Mozart mp ______________________________à ________________________________Paris. DOM=MUSICK=VEREINU.MOZARTEUM INTERNATIONALESTIFTUNG:„MOZARTEUM”1881