Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
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2020-02 CC BY-NC-SA 4.0 https://dme.mozarteum.at/DME/briefe/letter.php?mid=646 Verbleib unbekannt (Vorlage: Abschrift um 1768 in D-B) last file update: Wed May 11 14:48:19 2022
LEOPOLD MOZART AN LORENZ HAGENAUER IN SALZBURG LONDON, 28. MAI 1764
______________________23 _______________________________\hfill London den 28. Maij Monsieur!___________________________________\hfill 1764. _____Sie wissen, daß ieh ferner eine Sache ist, je kleiner stellt sich solche dem Auge vor. So ist es mit meinen Briefen. Meine Buchstaben werden immer kleiner, nach dem Maasse nämlich meiner Entfernung von Salzburg. Wenn wir in America hinüber seegeln wollten, würden solche etwa gar unlesbar werden. Für einen glaten Brief ohne Umschlag muß hier nach Teutsch=land ein Schilling, für den Umschlag aber wie=der ein Schilling, folglich, wenn der Brief ein Couvert hat, 2. Schillinge bezahlet wer=den. Ein guineé hat 21. Schillinge, und ein guineé stehet mit dem Louvis d'or in gleichen werth, dann in Dover hat mir der Banquier Miné, an den ich aus Pa=ris recommendirt ware, für 12. St: Louis d'or, 12. St: Guineé gegeben: denn hier wird kein französisch Geld genohmen. Sie kön= nen denn leichtlich schlüssen, was ein Schilling gilt. Unsere Hochverehrte Frau Ha=genauerin hat mir in ihrem Schreiben nach Paris zu schreiben beliebt – – – – vielleicht gar nach Engelland und Holland? Nach Engelland zu gehen, ware ich beÿ mei=ner Abreise aus Salzburg nur halb ent=schlossen: Alleine, da alle Welt, auch in Paris uns angelegen hat, nach London zu gehen, so habe mich gleichwohl entschlüs=sen müssen; und nun sind wir mit der Hilfe Gottes da: allein nach Holland gehen wir nicht, das kann ich dieselbe versiche=ren. Ich bin zwar versichert im Haag z: E: 2. bis 300. Duccaten geschwind ein=zunehmmen: doch weis ich auch, daß die Kö=sten ganz ausserordentlich sind; das Volck, und überhaupts die Holländer sind ein bischen grob. Und überhaupts zu sagen, sollte man aller Orten im Winter seÿn um sei=ne Pfeiffen recht zu schneiden; und das ist platterdings unmöglich: ausser man wollte 4, 5 und noch mehr Jahre auf Reisen zu=bringen. Wir sind auf Hamburg res=pective verschrieben, wenn wir dahin woll=ten: Allein es ist mir zu entfernet und zu weit gegen Norden. Wir könnten nach Coppenhagen mit den grössten Vortheil der Welt gehen; so wohl der Königlich Dännische Minister in Paris Herr Baron de Gleichen, als der hiesige Dänische Ge=sandte Graf von BodmerBothmer wollen uns zum voraus eine gewisse Summa garantie=ren; Allein das könnte mir niemals in den Sinne kommen. Noch weniger hat mich der Prinz Gallizin bewogen ihm einige Hofnung zu geben, daß wir nach Russland zu gehen uns entschlüssen könn=ten. Diese Länder sind zu entfernt, und zu kalt. Es ist das hiesige Land schon entfernt genug, und obwohl es, was die Feldfrüchten und Viehzügl anbelanget ei=nes der schönsten und glückseeligsten Län=der ist; so ist es doch wegen der beständigen Abwechslung von Hitz und Kälte ein gefährliches Land. Denn da Engelland eine Insel ist, so leidet sie sehr wegen der beständigen Abwechselung der Winde, die von dem Meer kommen. Es ist manchen Tag eine ungemeine Hitze; im Augenblicke erhebt sich ein Nordwind, und in einer Viertlstunde darauf ist es un=gemein Kalt: desswegen sehen sie auch hier nichts als Tüchene Kleider. Die Speisen sind ungemein nahrhaft, Substan=tios und kräftig; das Rindfleisch, Kalb=fleisch und Lammfleisch besser und schöner als man es in der Welt finden kann. Man sieht in den Feldern das schönste Vieh, und Läm=mer die fast so gross als ein Kalb sind, de=ren Woll dick und lang ist. Daher kom=men die trefflichen Manufacturen. Alleine eben diese Speissen sind zu kräftig, und das Bier, deren man verschiedene Gattungen haben kann ist ganz erstaunlich starck und gut. Hingegen ist der Wein, weil das Bier ein Land-productum ist, unbeschreiblich theuer, und ein erstaunlicher Accis darauf. _______________________________________________________Eben Eben so ist es mit dem Coffée, welcher über 4. teutsche Gulden das kleine Pfund zu stehen kommt. Über diess muß man ihn schon gebrennt und gemahlter kaufen, dazu eigne Boutiquen sind: und wer ein Pfund Coffeé im Hause selbst brennt wird um 50 guineé gestraft. Was glauben sie was meine Frau über diese Einrichtung für gesichter macht. Genug, die Herren Engelländer suchen ihren Theé an den Man zu bringen und zu verhindern, daß das Geld für Coffeé nicht aus dem Lande kommt. Der Theé Kessel ist dem ganzen Tag auf dem Feuer, und beÿ Besuch werden die Leute mit Theé und Butter Brod bedient: daß ist; man bringt fein aufgeschnittenes und mit Butter überstrichenes Brod. Üb=rigens ist der Mittag Tisch meist zwischen 2. und 3. Uhr, und auf die Nacht essen die meisten Leuthe nichts, oder nur etwa Käß, Butter und Brod, und lassen sich einen guten Krug starck bier dazu schmecken. Kein Frauenzimmer gehet über die Gasse ohne einen Hut auf dem Kopf zu tragen, deren aber sind unterschiedliche; ganz runde; hinten zusamgebundene, von At=lass, von Stroh, von taffta p. Überhaupts mit Bänderen ungemein geziert und mit Spitzen verbrämt. Ein mittlmässiger kommt schon auf einen halben guinée. An=fänglich glaubt man lauter masquern zu sehen. Kein Mannsperson gehet mit ent=blößten Haupte auf der Strasse, und wenige sind gepudert. Wenn die Gas=senbuben jemand der geputzt ist und ein wenig nach französischen Art gekleidet gehet, sehen; ruffen sie gleich laut auf: Buger French! französischer Büger. Da ist das beste Mittl schweigen, und thun als wenn mans nicht hörte. Sollte einem in den Kopf kommen sich darüber aufzuhalten; so würde bald ein Succurs vom Pöfel zugegen seÿn, und man hätte Mühe, wenigst mit etlichen Löchern im Kopfe, davon zu kommen. Wir, unsers theils sehen ganz englisch aus. Allein es waren nur ein paar Kleider für mich und den Wolfg: glattweck zu machen und ein paar weibsHütte zu kauffen beÿ 12. Guineé Unkosten. Das wenigste Macherlohn für ein glatt Kleid sind 14. Schilling, wenn eine bordierung darauf kommt muß ein Pfund Sterling |: so 20 Schilling ist :| bezahlt werden. – – Nun wundert mich nicht, daß man in Teutschland fein englisch Tuch oder wenig antrifft, oder erstaunlich theuer bezahlen muß, das Super=fin Tuch, eine Sort, die die gewöhnlichste für honeté leute ist, und davon ich genom=men, 18. Schillinge die Englische Ehle oder Stab kostet, der doch viel schmähler ist, als der französische. Das allerfeinste aber kommt auf 21. Schillinge. Das al=les hier ungemein theuer ist, kann man sich leicht vorstellen. Die Ursache davon ist; weil ein Guineé hier weniger aufse=hen macht, als beÿ uns ein Duggatten: allein diejenigen irren sich! welche glauben, daß die Engelländer das Geld wegwerffen; es giebt kein Mittl unter ihnen. Die Mei=sten sind gar zu genaue Haushälter; einige wenige sind ungemein genereux. Noch wissen wir nicht wie es für uns aus=fallen wird. Auch hätten wir im Win=ter hier seÿn sollen. Den 27. aprilis waren wir von 6. bis 9. Uhr beÿ der Köni=gin und dem König in S:t James Park in Queens Palace, das heist: in St: Jacobs Park in der Königinn Pallast. Wir waren also schon den 5.t Tag nach unserer Ankunft am Hofe. das present war zwar nur 24. guineé, die wir gleich im herausgehen aus des Königs zimmer empfieng=en, allein die Gnade, mit welcher so wohl S:e Majestätt der König als Königin uns begegnet ist unbeschreiblich. Kurz zu sagen: beÿder gemeinschaftlicher Umgang und beÿder freundschaftliches weesen lies uns gar nicht mehr denken, daß dieß der Kö=nig und die Königin von Engelland wären; ________________________________________________Man Man hat uns an allen Höfen noch ganz ausserordentlich höflich begegnet: allein die=se Art, die wir hier erfahren, übertrifft alle die andern: 8 Tage darauf gieng=en wir in St: James Park spaziern; der König kam mit der Königin gefahren: und obwohl wir alle andere Kleider anhat=ten, so erkannten sie uns doch, grüsten uns nicht nur, sondern, der König öffnete das Fenster und neigte das Haupt heraus und grüste lachend mit Haupt und Händen im Vorbeÿfahren uns, und besonders un=sern Master Wolfgang. Weil wir nun vom fahren sprechen; so wünschte ich Sie nur ein paar Täge hieher die schönen Pferden, und die abscheulichsten Kutschen zu sehen. So schön die Pferde sind, so abscheulich sind die Kutschen, welche nieder und breit sind. Der sitz des Kutschers ist dem Kobl-Tach völlig gleich, so, daß wenn der Kutscher vom Sitz fällt, so ist es eben so viel, als wenn er vom ersten Stockwerk eines niedern Hauses her=abfühle. Aber die Pferde! die schönen Pferde! wenn ich hundert englische Pferde zu Calais stehen hätte, die meine wären; so hätte ich schon genug. Engeländer in Teutschland zu sehen, heist nichts gesagt; aber solche im Lande und nach der Wahl zu sehen, das ist ganz was anderes. Das Meer, und sonderheitlich solches in ihrem Fluxu und Refluxu im Hafen zu Calais und Dover, dann die Schiffe, und unter der fahrt die Fische, so Meerschweine heis=sen, im Meer auf und niedersteigen zu sehen, dann so bald wir von Dover ab=giengen von den schönsten Engelländischen Pferden davon geführt zu werden, die so gelauffen, daß die Bedienten auf dem Waagensitz kaum Athmen könnt wegen dem Gewalt des Lufts, alles die=ses ware uns etwas ganz fremdes und angenehmes. So fremd uns hingegen in Paris war einen Holzschneider, einen Zim=mermann p mit der Axte oder Säge unter dem Arme, einem zerissenen Rock am Leibe und eine schneeweis einge=buderte Staats Peruque mit 3. Knöpfen auf dem Kopfe zu sehen: so wunderlich kam es uns vor in London die gemeinen Wei=ber auf dem Marke mit der TobacksPfei=fe im Munde zu sehen. Die Statt, die sehr schön ist, zu beschreiben ist hier der Platz zu enge; Die Bauart ist von der Franzö=sischen ganz unterschieden. an den Häusern ist der Geheweeg mit grossen flachen quatrat Steinen gepflästert, so zum gehen sehr com=mot ist; Hingegen ist die Mittlstrasse zum fahren zum Hals brechen. Alle Häuser haben die erste Wohnung unter der Erde, die 2.te zu ebenfuss hinein, und dann noch Zimmer 1 und 2 höchstens 3. Stie=gen hoch. Die Wohnung unter der Erde ist Liecht, hat die grösten Fenster, und Schmitt und Schlosser, wie all andere Arbeiter ha=ben meistens da unten ihre Arbeitstube. Desswegen sind neben allen Häussern Gätter von Eisen oder Holz, damit niemand hinunterfällt. Mein Schreiben an S:e hoch=fürstlichen Gnaden unsern gnädigsten Für=sten und Herrn p wird hoffentlich unter dem Umschlage an Sie richtig angelanget seÿn; das ich gleich nach unserer Ankunft in London abgeschicket habe._____Ich habe neuerdings zu bitten, folgende heilige Mes=sen bäldist lesen zu lassen. nämlich: 3. Heilige Messen beÿ dem heiligen Kindel zu Loreto. 3. Heil: Messen zu Maria Plain. 2. heil: Messen beÿ dem heil: Francisco de Paula im Bergel. und 2. beÿm heil: Jo=hann von Nepomuck in der Pfarr oder wo sie wollen. dann auch 2. beÿm heil: An=tonio in der Pfarr. Wir haben übrigens die meiste Bagage beÿ herrn Banquier Hummel in Paris gelassen. sonderheitlich haben wir alle Tobattieren, und 2. Uhren und andere Kostbare Sachen, samt 2. schönen neu Attlassenen Kleidern, ein Rubinfarbes mit weisen Opern von meiner Frau und ein Blaues mit weisen Opern von meinem Mädel nebst allen dazu gehörigen garni=turen und viellen anderen Sachen alda gelassen. Das reiche, so ich meinem Mä=del in Paris angeschaft, und Isabella farb im Grund, mit Blumen und goldenen breiten Streifen sehr schön ist, habe mit nach Engelland genommen. ________________________________________________Mr: Mr: Grim, unser geschworner freund, der alles für uns in Paris gethann hat, hat zum Abschied, über alle seine Guthaten, noch der Nannerl eine Goldene Uhr, und dem Wolfgang: ein Obstmesser, wie man in Paris beÿm Confect zu haben pflegt, Ver=ehret, dessen das Häft von Perlmutter in Gold gefast ist, und das 2. Klingen hat, nämlich eine von Gold und die zweÿte von Silber. Ich habe auch noch in einer golde=nen Tabattier alda 7. Stück doppelte Louis d'or liegen: und für 200. Louis d'or die ich H: Turton und Baur behändiget, habe einen Credit-brief für 4000 und 8. Hundert Livres in handen; Gegen=wärtigen Brief habe schon vor 8. Tagen ab=senden wollen; allein ich war gehindert, und theils wollte ich einige Neuigkeiten abwar=ten. Ich kann aber nichts anders berichten, als daß wir den 19.t Maij abermahls Ab=ends von 6 bis 10. Uhr beÿm König und der Königin waren, wo niemand als die zweÿ Prinzen des Königs Bruder, und der Prinz der Brueder der Königin zugegen waren. Beÿ dem Austritte aus dem Zimmer wur=den mir abermahl 24 guineés gereichet: wenn es alle 3. oder 4. Wochen so kommt; so kann mans erleiden. Nun werden wir ein so genanntes Benefit, oder Concerto al nostro profitto den 5.t Junij haben. Es ist eigentlich iezt keine Zeit mehr dergleichen Concert zu halten, und man kann sich wenig Nutzen davon versprechen, weil es ausser der Zeit ist, und weil die Un=kösten eines solchen Concerts auf 40. guineés sich beläuffet: Allein, da den 4.t des Königs Geburtstag ist, und folglich viele Noblesse vom Lande in die Statt komt; so mus man es wagen und von diesen Augenblick profitiren, um sich bekannt zu machen. Die Person zahlt einen halben guineé, und wenn es im Winter wäre, so könnte ich sicher auf 600. Personen, folglich auf 300 guineés zehlen: dermahl aber gehet alles in die Gärten und auf das Land. Basta! es wird schon gut werden, wenn wir nur mit der Hilfe Gottes gesund bleiben, und wenn Gott nur unsern un=überwindlichen Wolfgang gesund erhält. Der König hat ihm nicht nur Stücke vom Wagenseil, sondern vom Bach, Abel, und HendlHändel vorgelegt, alles hat er prima vista weggespielt. Er hat auf des Königs Or=gel so gespielt, daß alle sein Orgelspielen weit höcher schätzen als das Clavier spiellen. Dann hat er der Königin eine Aria, die sie Sang, und einem Flautroversisten ein Solo accompagnirt. Endlich hat er die Violon stimme der HendlischenHändelischen Arien |: die von ungefehr da lagen :| hergenommen, und hat über den glatten Bass die schönste Melodie gespiellet, so, daß alles in das äusserste Erstaunen gerieth. Mit einem Worte; das, was er gewust, da wir aus Salzburg abgereist, ist ein purer Schat=ten gegen demienigen, was er ietzt weis. Es übersteiget alle Einbildungskraft. Er empfehlet sich vom Clavier aus, wo er eben sitzt, und des Capellmeisters Bachs Trio durchspiellet, sammt uns, und es ver=gehet kein Tag, wo er nicht wenigst 30. mahl von Salzburg und seinen und unseren Freunden und Gönnern spricht. Er hat ietzt immer eine Opera im Kopf, die er mit lauter jungen Leuten in Salz=burg aufführen will. Ich hab ihm schon oft alle junge Leute zusammen zehlen müssen, die er zum Orchester auf=schreibet, darunter Herr Kolb, und H: Ranftel öffters erwehnet wird.