Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
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2020-02 CC BY-NC-SA 4.0 https://dme.mozarteum.at/DME/briefe/letter.php?mid=654 Verbleib unbekannt (Vorlage: Abschrift um 1768 in D-B) last file update: Wed May 11 14:48:20 2022
LEOPOLD MOZART AN LORENZ HAGENAUER IN SALZBURG LONDON, 19. MÄRZ 1764
__________________________30 __________________________________\hfill London d 19.t Martij ____________________________________________________________\hfill 1765. _____Monsieur! _____Daß mein letztes kurzes Schreiben, noch bevor Ausgang des Salzburglichen FastenMarkts, folglich noch zur rechten Zeit angelanget, will ich nicht zweifeln. Mein Concert so ich den 15.t des verflossenen zu haben dachte, ward erst den 21.t aufge=führet, und wegen der Menge der Plaisirs |: die hier zum Müde werden sind :| nicht so starck als ich hoffte; doch waren es beÿ 130. guinées: und da die Unkösten da=zu über 27. guinées sich erstrecken, bleibt nicht viel mehr als 100. guinées rest. Ich weis aber auch wo es fehlt, und warum man uns nicht mit mehrer generesité tractirt |: obwohl wir hier einige 100. guinées seit unserm hier seÿn eingenommen :| – – ich habe eine mir gemachte proposition nicht angenommen. Allein, was hilfts viel von einer Sache zu sprechen, die ich, nach reiffer Überlegung, und nach etlich schlafloosen Nächten mit wohlbedacht gethann habe, und die nun vorbeÿ ist, da ich meine Kinder an keinem so gefährlichen Orte |: wo der meiste theil der Menschen gar keine Religion hat, und wo man nichts als böse Beÿspielle vor Augen hat :| erziehen will. Sollten sie die Kinder Zucht hier sehen, sie würden erstaunen. Von übrigen Religions Sachen ist gar nichts zu sprechen. – – – Ich muß ihnen doch in der Geschwindigkeit eine artige Geschichte erzehlen. Hier ist der Gebrauch, daß wenn ein Kind ge=tauft wird, so sind neben anderen gu=ten Freunden die hauptpersonen 1. Gevat=ter und 2. Gevatterinnen. Man pflegt allzeit zu Hause, und gemeiniglich viele Täge und auch Wochen das Kind erst tau= fen zu lassen nach der Geburth. Ein Musickhändler |: welche auch Instrument: verkauffen :| ein Teutscher aus Hessen, des=sen Frau eine Schweizerin ist, bath meine Frau mit einem gewissen teutschen Herrn und einer teutschen Jungfer beÿ der taufe seines Kindes zu Gevatter zustehen. Wir entschuldigten uns immer; bis endlich der Teutsche Herr Gevatter ein Commissa=rius aus Braunschweig uns selbst an=suchte. Die Tauffe war 4. Wochen nach der Geburt Abends um 5. Uhr. Die Merckwürdigkeit dieser Tauf bestehet darinne, daß der Vatter des Kinds gar keine Religion hat, und seine Grün=de nur darinne bestehen, daß man Gott anbethen, ihm und seinen Nebenmen=schen lieben und ein ehrlicher Mann seÿn müsse. Die Mutter, die gegenwärtig war, ist eine Calvinistin, und hält ihre Religion noch so zimmlich. Der Herr Gevatter ist Luterisch, und die Jungfrau Gevatterinn Calvinisch, meine Frau als die 2.te weibliche Gevatterin eine gut ca=tholische Salzburgerin, und der Herr Pastor |: der hier Minister genennet wird :| ist englischer Religion. Wie gefällt ih=nen diese Tauf compagnie? – – für uns catholischen war beÿ der Tauf selbst nichts ungewöhnliches; denn der Glaub in Gott, und das Vatter unser, so hier gebethet wur=de ist nach der englischen Kirche von Wort zu Wort, wie beÿ uns. Aber die Lu=theraner und Calvinistin musten etwas ih=nen ungewöhnliches mitmachen, nämlich mit uns allen niederknien, dann in der eng=lischen Kirche wird kniend gebethet. war es nicht schade, daß nicht auch noch ein Jude, wenigst in der Compagnie ware? Wenn Herr Zunsen ein Jude und Com=missaire von BadebornPaderborn, der oft zu uns kommt, nachricht gehabt hätte, so würde ___________________________________________________________er er wenigst zum Tauf Soupé gekommen seÿn; Sie müssen aber wissen, daß die herrlichen Juden keine Bärte, und samte=ne Kleider und harbeutl Peroucken tragen; daß, sonderlich die Portugesischen Juden mit allem Aufputze, wie ein Franzos, in ihre Synagoge gehen, und gahr nichts an ihnen zu sehen ist, was einem Juden gleichet. ja Sie müssen auch wissen, daß die grossen und andere nach der Mode den=kende Juden so wenig ihren Glauben hal=ten, als der grosse Theil der französischen, Englischen, Italiänischen und Portugesischen Christen; da jene, wie diese wenn der Dies Domini, das ist Sabath und Sonntag kommt aus der Statt den Abend zuvor fahren, und auf ihren Landgüttern bleiben, bis dieser traurige Bett-Tag vorbeÿ, weil an solchen Tagen weder Comedie noch opera noch andere Lust=barkeit in der Statt ist: und würden den die gemeinen Leute in der Kirche Platz finden, wenn die grossen und Reichen auch dahinn giengen? – – Sie bleiben aus Complaisance weg. Sehen Sie, wie eine Sache in die andere gehet; wenn ich so fort schreibe, so wird es wieder ein Brief werden, an dem Sie eine gute halbe Stunde zu lesen haben. Allein förchten sie sich nicht! Er wird nicht so lang, und ich erspare ihnen mündlich zu erzehlen, erstlich die Einrichtung der hie=sigen Regierungs Art; die Macht und Rechte des Königs und des Volckes; die ge=gründeten, und auch falschen Meinungen die auswärtige Nationen von den Engel=ländern überhaupts haben. Ihre Art zu richten und Urtheil zu fällen. Ihre Sitten überhaupts und ins besondere. Ihre Kleidertracht von Kopf bis zu den füssen, sonderlich der Kinder, die durch die Banck unserm teutschen bauern Buben gleich sehen: da so gar die grossen Stu= denten in Oxford rund um abgeschnittne Kurze Haare und ein kleines rundes filzkäpchen auf dem Kopf tragen. – – raison! Damit die Vielle der haare den Waxthum der Vernunft nicht hinderlich sind. Aus dieser nämlichen Ursache schneiden sie den Pferden die Schwänze ab; um dadurch, wie sie glauben, den Kräften der Pferde zu Hilfe zu kommen: weil die vielen Zweige einem Baume die Kräfften oder vielmehr der Frucht des Baumes die Kraft des Waxthums be=nehmen p: – Ich erspare mir auch ihnen mündlich zu sagen. Was für Unter=schied der Esswaaren iede Jahrszeit so wohl in Fischen, Fleisch p und sonderlich in Obsspeissen mit sich bringt, die Gütte derselben, und die unglaubliche grösse des Viehes p: der Fische p. der Krepse. – – Schildkrotten und Austern: dinge, die vielen unglaubl: scheinen werden. – – – Ferner werde ihnen erzehlen die Art ihre Todten zur Grabstätte zu bringen. – – die nutzbarkeit ihrer Hospitäler zu erziechung der Jugend, woraus die gröst Admirals entspringen. – – Die Art wie man mit Leuten die schuldig sind verfährt. – – Ihr Pferd rennen und Hahnen Gefecht. – – Die Art der fuhrwägen und fuhrleuten, die nicht neben ihrem Gütterwägen zu Fusse gehen, sonderen auf einem Pferde nebenbeÿ reitten, die Pferde nicht beÿm Zaume halten, sonderen durch einen Schlag einer an einer erstaunlichen langen Stan=ge hängenden kleinen peitschenschnure und mit zuruffung etlicher fürchterlichen Worte regieren. – – – Ich werde ihnen den Tower |: nämlich das Veste Schloss :| münd= lich beschreiben, und ihnen sagen, wie das Gebrüll der Löwen alda unsern h: Wolfgang in Ängsten gesetzet hat. Ich ____________________________________________________werde werde ihnen St: Paul und Westmünster, die Machine so das Temse Wasser in die ganze Statt treibt, und gewisse künst=liche bratenwender beschreiben p. Ich werde ihnen die Schönheit des hiesigen Manns und Frauen Volkes und ihre wohlgewachsne grosse Leibesgestalt abmahlen; hingegen werde ich sie zum Ärgerniss und grausen bringen, wenn ich ihnen sage, daß sich manchmals 2. Menschen auf offner Strasse in ein Faustgefecht einlassen: aber ganz abscheulich! im Augenblicke ziehen sie die Händer über den Kopf weg; dann stos=sen sie sich mit fäusten oder einen Aug aus dem Kopfe oder die Zähne in Hals, oder eine Rippe entzweÿ. 2. Schmied=knechte unternahmen so gar dieses Gefecht mit gewissen schmaalen Eÿsen, mit denen man hier das Feuer schieret, die sie glüend machten, und in Gegenwart mancher 10000. Menschen auf offnen Platze ein ander die nakenden Leiber verbrandten. Könnte ich nun alles dieses nebst dem schönen Lande, den schönsten und fruchtbaresten Gegenden p. hier beschreiben? – – – Nein! ich will es ihnen lieber erzehlen. Dieser brieff soll mich an alles erinneren. _____Nun muß ich sie bitten mir auf diesen Brief, so bald sie können, zu antworten. Dann ich muss Antwort haben, zu Ende des Aprilis es möchte geschechen, daß ich zu An=fange des Maij von hier abreisete. Sie schreiben von einem Scarlatin zu einem Mantl: allein ich kann kein Tuch mit neh=men, weil man in Franckreich genau vi=sitiert wird. Und im kleinen, das ist ehlen=weis, ist auch nichts wohlfeiles zu kauffen. Es wäre denn das man ein ganzes Stuck Tuch kauffete und über Holland sendete. Schreiben Sie mir: ob die Tracht von Frank=furt bis Salzburg theuer ist. Ich gedencke, ja ich bin fast gezwungen etwas meiner Bagage über Holland nach Franckfurth zu schicken: denn obwohl ich viel Bagage, und die kostbahresten Sachen in Paris habe, so sich auf 300 Louvis d'or belauft; so ist meine Bagage hier wieder sehr angewach=sen. Es ist mir nur um die schönen Klei=der leÿd! Denn mein Schwarz sametnes Kleid und das ganz reiche Kleid, wovon der Grund mit Silber und Gold Blett ein=getragen ist, wird auf Reisen nicht besser, wenn man es noch so genau in acht nimt. Dieses letzte Kleid hat 59. Louis d'or in Paris gekostet, und ich habe es par Hazard, NB: Neu, nicht 2. mahl getragner, von einem Ca=vaglier, der mein guter Freund schon in Franckfurt ware, durch einen wunderlichen Zufall bekommen. – – – _____Der Preis der Goldenen Uhren ist hier von 12 guineés fort und fort, so hoch sie nur immer hinauf wollen. Was über 25, und 30 guinées ist, kommt schon auf die kostbare façon und ausarbeitungen des äusserlichen an. Der gemeinste Kauf schöner und guter Uhren ist von 14. – – bis etlich und 20. guinées. um 14 bis 20 gui=nées kann man treffliche Goldene Uhr kauffen. Nun kommt es darauf an ob man glatte arbeit oder verzihrte Ar=beit liebt. Sachen! die zum innern Werth einer Uhre nichts beÿtragen. das sage ich ihnen zum voraus, daß der gütte nach die Engelländer den Vorzug behaup=ten, dem gusto nach aber mir die Fran=zosen besser gefahlen, und hier mehr gross als kleine Uhren geliebt werden. NB: fragen sie die Uhrmacher in Salzburg: ob sie wissen was eine Horizontal Uhr ist; Es ist eine neue Erfindung; das Werck hat um ein Rad weniger, und ein haupt=rad lauft Horizontal. Ich förchte wenn ich eine solche Uhre hätte, und es würde im Fall etwas fahlen, daß es beÿ uns nicht mehr könnte in Ordnung gebracht werden. hätte ich so viel geld hier gemacht, als es anfangs das Ansehen hatte, so wurde ich auf viele Curiositäten etwas angewendet haben; Allein quod differtur non auffer=tur, ich habe, und werde allzeit meine cor=respondenz in London haben. Nun muß ________________________________________________ich ich das Geld in acht nehmen, ich mag mich rechts oder Lincks wenden, so muß ich Geld haben, und habe ein grossen Weeg vor mir, der so muß ausgedacht seÿn, daß andere das Raisegeld bezahlen müssen. Leben Sie mit allen den lieben ihrigen wohl auf. Meine Frau und Kinder empfehlen sich ihnen und dero Frau Liebsten und samt=lich angehörigen, und ich bin der alte. Die Königinn hat unserm Wolfgango für die Dedication der Sonaten 50 Gui=nées præsent gemacht. P: S: _____Hier ist der Seconde p. – – Ich bitte geben sie mir bald Antwort, und vor allen dingen Bitte von uns allen der M:me de Robinj unser gehorsamstes Compliment abzulegen, und ihr zu melden, daß ich recht beängstiget bin, daß in dem Londoner Lärmen mir die Aufmercksamkeit ent=wischet ist, und ich erst wuste mich ihres Nam=menstags zu erinneren, da er schon vor der Thüre war, ich bin von ihrer Gütte versicheret, daß Sie es mir vergeben wird, da ich alle complimenten beÿseits, ihr wah=rer Diener und aufrichtiger gehorsamster Knecht bin. Sie wehrtester Herr Hagen=auer, werden ferner die Gütte haben, das=ienige was ich ihnen in Betreff der golde=nen Uhren gemeldet, der gütte haben, dasienige was ich ihnen in betreff der goldenen Uhren gemeldet der M:me von Robini zu communiciren, und Sie zu bitten |: da sie mir zu melden beliebet, daß ich die Ehre haben sollte ihr eine Uhr mit zu bringen :| Daß sie mir nur einigen Finger Zeig geben möchte, wie hoch ich mich in circa einlassen dörf=te: daß ich etwas gutes einkauffen wer=de, ist nicht zu zweifeln; da ich vermög=liche, ansehnliche und redliche Leute an Han= den habe, die es verstehen und mir das beste auszuwehlen sich eine Ehre machen werden. Das ist einmahl ganz gewiß, daß der meiste Theil von Uhren für englische in Teutschland verkauft werden, die London nie gesehen haben. – – – Ferner lasse unsern lieben herrn Spize=der um Verzeichung bitten, daß ich ihm auf seine uns angenehme Briefe nie geantwortet. Er ist so vernünftig und weiß, was ein Mensch zu thun hat, der mit einer ganzen Familie in einer solchen Statt lebet, wo man 300. Pf: Sterling jährlich mit der genauesten haus=haltung verzehret und noch etwas erspar=ren soll. Ist herr Adelgasser noch nicht in Salzburg? – – mein compli=ment und von uns allen. Wir kennen halt ja M:r Bach! ich muss schlüssen es ist zeit, die Post geht bald ab. Bitte baldt antworten! _____Bitte inngleichen 3. heilige Messen lesen zu lassen: 1. zu Loreto beÿ den heiligen Kindl 1. beÿ den P: P: Franciscan: auf den Hochaltar, und 1. im Nunberg. [... (Beginn der Abschrift des Briefes vom 18. April 1765)]