Digitale Edition der Briefe und Dokument der Familie Mozart
Digital Edition of Letters and Documents from the Mozart Family
Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg
Salzburg
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Ulrich Leisinger
Digitale Mozart-Edition
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LEOPOLD MOZART AN MEINRAD SPIESS IM KLOSTER IRSEE BEI KAUF\-BEUREN
SALZBURG, 17. SEPTEMBER 1755
__________HochEhrwürdig und Hochgelehrter
_____________insonders hochgeehrtester h:
__________________P: Meinrade!
Wie? nach 3 Jahren sehe ich erst wied ein Schreiben?
Das lässt in der That ungemein faul! — — So werd
sie unfehlbar denken, wenn sie diese meine Zuschrift er=blicken. Ich dancke ihnen gehors. vor die mir in
dero gütigen Antwortsschreiben gemachte gründliche Erin=nerungen. Die bemerkten wenig fehler sind die üblen
Früchte meines Sanguinischen Temperamentes, welches mich
so sehr forttreibet, daß ich wenig od gar nichts mit
der gehörigen Achtsamkeit und Gedult niederschreibe. Ich habe
letzthin in Friedrich Wilhelm Marpurgs Historisch Critischen
Beÿträg zur Aufnahme d Musik ersten Theile beÿ
Durchlesung der Vorrede od des Vorberichtes gefund
___________________________________________________(nebst Couvert)
daß man sich in der Musick eine Anweisung zur
Violine und zu noch and Instrument wünschet.
Ich habe es gewagt eine Violinschule niedzuschreiben,
die auch wirklich unter der Presse ist. Allein
ob sie die Probe halt wird, die h: Marpurg
verlanget: daß sie nämlich nach dem Geschmacke,
wie h: Bach vom Clavier, und H: Quanz von
der Flöte geschrieb hab, sein sollen; eben daran
muß ich zweifeln: weil ich weis, wie sehr ich von
meinem flüchtigen Temperamente hingerissen werde.
Dieß tröstet mich, daß man mir als einem Anfänger
mit mehrerer Nachsicht entgegen gehen, und folglich
die Fehler meiner noch unreifen Schrifte mit einer etwas
gelindern Crisi Richten wird. Ich empfehle sie dero
Bemitleidung, wenn sie ihn einmal in die Hände
kömt. vor dem Neuen Jahre wird sie mir der Buch=drucker wohl nicht liefern. Wie stehet es denn
mit der musikal: Societät? Mich düncket es ist
etwa gar ins Stecken gerathen: weil man d Welt nichts
mehr davon bekant machet? Es wäre warhaftig
Schade, wenn ein so nützliche Bemühung nicht unter=stützet würde. Allein Es geht schon so in der
Welt. Villeicht würde es in mehrern Gange
kom, wen auch gute Practische Musikmeister von
Grossen Herrn dazukomet. Es hat sich die Practi=sche
Musick in wenig Jahren wirklich sehr verändert:
Und alles, was imer die Gemüter der Zuhörer rühren
solle, beruhet auf der Art eines guten, schönen und
natürlichen Vortrages. Das Schwache und Starke,
welches man itzt nicht nur in ganz Passagen, sond
auch beÿ einzeln Noten anbringen mus; die ver=schiedene Art, die theils gleichen, theils ungleich
Noten zu verbinden und zusamenzuhängen od auch
wied die sonst gewöhnlich Art, zu tren, und derleÿ
viele andere Dinge sind es die in der sonst wohlge=setzten Composition den Affect recht anzeigen und
ergo machen müss. Und wie kan man diss alles
durch die Theorie allein bestimen? Glauben sie mir,
beÿ dieser Welt rühret die beste Harmonie nimermehr,
man will eine auf das edelste, ja eine imer ganz neue
und auf unerwarte Art vorgetragene Melodie hör,
wenn man sich durch die Musik in dem Gemüthe
recht soll getroffen find. Verzeihen sie mir meine
Freÿheit in verfassung eines so lang Briefes. Ich empfehle
mich und ersterbe
____________________________\hfill Euer HochEhrwürd
Salzb: 17t Sep:bris___\hfill Ergebenster Leopold Mozart mp
_____1755
Plur: Rdo: Relig:o ac Clariss:o
Domino Patri Meinrado Spies O: S. P:
Benedicti in Celeb: et Imp: Monasterio
Ursinensi Professo Colg: nec non p. t. Subpriori
digsso:
_______________Ursinium
V. h. Leopold Mozart
Musico. Salisburg.
d.d. 17. Sept. Ao 1755.