\HeadlineOne{Einleitung}{Einleitung} \pagenumbering{arabic} \HeadlineTwo{I. Themenstellung} Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer Auswahl dramatischer Werke Ernst Tollers. Die Dramen werden aus einer \Quote{modernetheoretischen} Perspektive daraufhin untersucht, wie der Autor sich mit den Problemen und Entwicklungen seiner Zeit auseinander setzte. Dabei soll insbesondere herausgearbeitet werden, wie sich das Spannungsverhältnis zwischen Tollers intensiv empfundenem Wunsch nach Weltverbesserung und der oft von Isolation geprägten Lage des intellektuellen Idealisten in seiner literarischen Produktion äußerte. Ernst Tollers Schaffensperiode als Dramatiker erstreckte sich ziemlich genau auf die Zeit zwischen den Weltkriegen. Der Schrecken des ersten Krieges prägte seine politische Grundhaltung und machte ihn zum Pazifisten und Verfechter eines \Quote{humanen} Sozialismus. Politische Berühmtheit erlangte er als eine der führenden Gestalten der Münchener Räterepublik von 1918/1919. Die folgende mehrjährige Haft, in der er einige seiner bedeutendsten Werke schrieb, festigten seinen Ruf als Symbolgestalt der Revolution. Während der Weimarer Republik avancierte Toller zu einem der erfolgreichsten Dramatiker deutscher Sprache.\Footnote{\Abr{Vgl} den Beitrag von Thomas Anz über Ernst Toller in: Metzler Autoren-Lexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Bernd Lutz. Stuttgart [u.a.] 1997.} In seinem stets von politischem Engagement durchdrungenen literarischen Werk orientierte er sich meist eng an zeitgeschichtlichen Themen. Als klarsichtiger Kritiker des aufstrebenden Nationalsozialismus nahm er früh die vorauseilenden Schatten eines erneuten \Cite{Erdgemetzels}\Footnote{Mit diesem Ausdruck hatte Toller den Ersten Weltkrieg im Nachhinein bezeichnet. Siehe \LongSourceRef{II}{8}.} wahr. Nach Jahren des Exils wählte er 1939 den Freitod. Ernst Toller gilt als einer der \Cite{engagierten}\Footnote{\Abr{Vgl} \BibRef{distl.93}{14}.} Autoren deutscher Literatur, der die Doppelrolle des Schriftstellers und politischen Aktivisten mit bemerkenswerter Intensität ausfüllte. Im Wechselspiel der beiden Betätigungsfelder versuchte er, Idee und Praxis zu verknüpfen. In allen Stücken, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, geht es im Wesentlichen um die Frage nach der richtigen Handlungsweise des ethischen Subjekts bei der Verbesserung der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse. Die frühen, expressionistischen Stücke thematisieren einerseits die Rolle des vorbildlichen intellektuellen Führers bei der Revolutionierung der Menschheit und zeigen andererseits die Grausamkeit und Inhumanität der systematischen Gewalt im Krieg und in revolutionären Kampfhandlungen. In den späteren Stücken wird die Führerproblematik abgelöst durch die Frage nach geeigneten individuellen Handlungsmöglichkeiten, die dem Einzelnen in der scheinbar demokratischen Welt der Republik \Abr{bzw} in der totalitären Welt der NS-Herrschaft (noch) zur Verfügung stehen. Durchgängiges Merkmal all dieser Dramen ist die Konfrontation relativ isolierter Hauptfiguren mit einer problematisierten Gegenwart. In der Motivierung, Gestaltung und Auflösung dieses Gegensatzes entwickeln die Stücke ihre jeweiligen Eigenheiten. Dies zu analysieren und im jeweils relevanten zeitgeschichtlichen Kontext als Versuch einer literarischen Bewältigung von Prozessen der historischen Moderne zu verstehen, ist das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit. Die ausgewählten Dramen Ernst Tollers werden somit als Literatur der \Quote{Literarischen Moderne} in den Blick genommen.\Footnote{Was dabei mit \Quote{Literarischer Moderne} und verwandten Begriffen genau gemeint sein soll, wird in dem folgenden Grundlagen-Kapitel expliziert.} Aus der genannten Perspektive auf die in den Dramen erkennbaren Reflexionsmuster erschließt sich eine Verlaufslinie, die die Tollersche Modernereflexion in ihrer Entwicklung beschreibt. Zugleich ergibt sich damit ein Beispiel, wie ein wichtiger Autor der Weimarer Republik seine \Cite{Bewältigung des Wirklichen}\Footnote{So der Titel der neueren Monographie von Kirsten Reimers, die Tollers Bild von der \Cite{Realität} und ihrer Gestaltbarkeit anhand umfassender Dramenanalysen untersucht. Siehe \cite{reimer.00}.} von expressionistischer Verkündigungsdramatik über das neusachliche Zeitstück bis hin zum antifaschistischen Exildrama variierte. \HeadlineTwo{II. Methode und Aufbau} Ernst Toller war lange Zeit ein sehr umstrittener Autor, der den Kommunisten zu \Cite{bürgerlich} und den Konservativen zu \Cite{sozialistisch} war. Auch der literaturwissenschaftlichen Forschung ist es oft schwer gefallen, einen differenzierten Zugang zu Tollers Werk zu finden. Immer wieder wurde er \AbrPair{z}{B} auf sein expressionistisches Frühwerk reduziert. Glücklicherweise erbrachten die vergangenen Jahrzehnte eine Reihe von differenzierten Analysen, die sich um eine unvoreingenommene Sicht auf ihren Gegenstand bemühen und dabei verschiedene methodische Ansätze zur Anwendung bringen.\Footnote{Für eine gute Übersicht über den neueren Forschungsstand sei hier auf \BibRef{reimer.00}{13f.} verwiesen.} Einen wesentlichen Fortschritt für die Forschungsbemühungen brachte die Herausgabe der \Title{Gesammelten Werke} Ernst Tollers mit sich, die 1978 durch Wolfgang Frühwald und John M. Spalek besorgt wurde.\Footnote{Wolfgang Frühwald / John M. Spalek [Hrsg.]: Ernst Toller. Gesammelte Werke. Band I-V. München 1978. Zitate in der vorliegenden Arbeit, die sich auf die \Title{Gesammelten Werke} beziehen, sind durch die in Klammern stehende Angaben des Bandes und der entsprechenden Seitenzahl gekennzeichnet.} Die vorliegende Arbeit versucht unter Anwendung ihres \Quote{modernetheoretischen} Ansatzes auf normative Distanz zu den untersuchten Texten zu gehen und damit eine reproduzierende Verdopplung der Autornorm möglichst zu vermeiden. Die Texte werden auf die in ihnen enthaltenen Reflexionsmuster, Wertsysteme und Handlungsperspektiven untersucht. Dabei soll möglichst keine implizite Parteinahme für oder wider eine bestimmte Auffassung von Humanität erfolgen. Der Autor als moralisches Subjekt soll hinter die Denkstrukturen und Ideologeme zurücktreten, die in seinen Stücken enthalten sind. Die Herausarbeitung dieser Strukturen ist deswegen die zentrale Aufgabe der Arbeit. Die Untersuchung beschränkt sich auf eine Auswahl dramatischer Texte und berücksichtigt andere Werke und Publikationen Tollers nur am Rande. Die aufgestellten Thesen und Analyseurteile erhalten dadurch eine gewisse Vorläufigkeit, die im Rahmen einer solchen Arbeit aber nie zu vermeiden ist. Die gattungsmäßige Einschränkung auf die Dramatik scheint vertretbar, da diese den Schwerpunkt des literarischen Werks des Autors darstellt. Ausgewählt wurden aus dem expressionistischen Frühwerk die \Quote{messianischen} Dramen \Title{Die Wandlung} (1917) und \Title{Masse Mensch} (1919). Beide stehen in einem engen Zusammenhang und bilden den Kern der \Quote{O Mensch}-Dramatik Tollers. Relativ ausführlich wird auch auf das 1927 entstandene Stück \Title{Hoppla, wir leben!} eingegangen, da es einen deutlichen Schritt in Tollers Abwendung von der expressionistischen Weltsicht dokumentiert. Das antifaschistische Exildrama \Title{Pastor Hall} (1938) vervollständigt den Entwicklungsbogen zumindest zeitlich: Es ist zugleich Tollers letztes Bühnenstück. Zur Methode der vorliegenden Arbeit gehört es, die argumentativen Aussagen möglichst nur aus der Interpretation der dramatischen Texte abzuleiten. Die Dramenanalyse erfolgt textnah und zieht biographische Informationen über den Autor nur in Ausnahmefällen hinzu. Der verengte Blick einer biographisch argumentierenden Interpretation soll so vermieden werden. Im folgenden Kapitel werden einige begriffliche Grundlagen entwickelt, um den genannten \Quote{modernetheoretischen Ansatz} genauer zu definieren. Daraus ergibt sich die übergreifende Perspektive der Arbeit. Für die konkrete Dramenanalyse führt dies zu einer Reihe von Aspekten und Themenstellungen, die in einem weiteren Kapitel umrissen werden. Die eigentliche Analyse erfolgt dann kapitelweise für alle vier Dramen. Am Ende dieser Kapitel habe ich mich jeweils bemüht, die Kernpunkte der Argumentation in geeigneter Form zu bündeln. Das abschließende Kapitel dient dann der Zusammenfassung der Ergebnisse und enthält die Schlussbemerkungen der Arbeit.